(6) Dean O‘Banion

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Chicago glich ab 1924 einem Bürgerkriegsgebiet, in dem es teilweise täglich zu wilden Schießereien auf offener Straße kam. Die rivalisierenden Banden hatten jegliche Hemmungen verloren. Für die Öffentlichkeit war Al Capone der Hauptschuldige an der eskalierenden Gewalt. In Wahrheit mischten eine Reihe anderer zwielichtiger Gestalten in diesem unerbittlichen Kampf um die Vorherrschaft in Chicago mit.

Der Blumenhändler mit dem Dauergrinsen

Zu ihnen zählte Dean O’Banion oder auch Dion O’Banion, es finden sich beide Schreibweisen des Vornamens. O’Banion kontrollierte in weiten Teilen der Stadt sowohl die Produktion als auch den Handel mit illegal gebrautem Bier. Nach außen hin trat er jedoch als Blumenhändler auf. Das Geschäft war nicht bloß Fassade. O‘Banion belieferte beispielsweise alle Beerdigungen von Mafiagrößen mit Kränzen und Blumengebinden.

Im Gegensatz zu vielen anderen Kriminellen seiner Zeit ließ Dean O‘Banion nie den toughen Kerl heraushängen. Er hatte äußerlich etwas Jungenhaftes an sich und er schlug maximal Kapital daraus. Seine penetrant zur Schau gestellte Heiterkeit und übertriebene Höflichkeit wirkte weitaus enervierender als jeder knöchelknackende Finsterling. Jeder wusste, dass O‘Banion ohne den geringsten Anlass einen Menschen tötete. Einfach, weil ihm danach war.

Deshalb besaß sein strahlendes Lächeln, sein ständiges Schultergeklopfe und Händegeschüttel stets etwas Gefährliches. Der Mann konnte jederzeit explodieren und man ahnte nie, wann es einen traf. Der Mann grinste einen an, schüttelte einem die Hand und zog mit der freien Hand einen seiner drei Revolver hervor, die er stets mit sich herumtrug. Sein Schneider hatte ihm für alle Anzüge Extrataschen nähen müssen, in denen er die Waffen unauffällig verstecken konnte.

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Dean O’Banion (links), Hymie Weiss und Joe Aiello

O‘Banion überspannt den Bogen

Doch O‘Banion überspannte zunehmend den Bogen. Er brachte einen Mann um, den er kurz zuvor im »Four Deuces« getroffen hatte. Torrios Hauptquartier. Kurz darauf tauchten die Mordermittler bei Torrio und Capone auf und stellten den Laden auf den Kopf. Johnny Torrio und Al Capone kochten vor Wut.

Dann verfeindete sich Dean O‘Banion obendrein noch mit den Genna-Brüdern, zwei engen Verbündeten von Torrio. Die Gennas hatten billigen Schnaps an Kunden von O‘Banion verkauft. Der finanzielle Schaden für O‘Banion war gering und tat ihm nicht weh. Ihm ging es ums Prinzip. Er ließ eine Wagenladung Fusel verschwinden, die den Genna-Brüdern gehörte. Torrio bemühte sich, die Wogen zu glätten und zwischen den beiden Parteien zu schlichten.

Dean O’Banion bot eine Lösung an. Er würde sich komplett aus dem Schwarzhandel zurückziehen und nach Colorado in den Ruhestand verabschieden – unter einer Bedingung. Johnny Torrio müsse ihm seine »Sieben«-Brauerei zu einem fairen Preis abkaufen.

Was Torrio zu diesem Zeitpunkt nicht ahnte: O‘Banion hatte Wind davon bekommen, dass die Behörden die illegale Brauerei in naher Zukunft hochgehen lassen würden. Er verabredete mit Torrio, den Kauf direkt vor Ort in der Brauerei abzuwickeln. Als Torrio den Koffer mit dem Geld übergeben hatte, erschien die Polizei und verhaftete alle Anwesenden. Das Geld wurde ebenso wie das Fabrikgebäude beschlagnahmt.


Früher stand hier die „Sieben Brewery“, heute eine High School.

 

O‘Banion hatte den großen Johnny Torrio aufs Kreuz gelegt. Er machte die Sache noch schlimmer, als er jedem von der Geschichte erzählte und mit seinem Coup prahlte. Damit war sein Schicksal besiegelt. O‘Banion war untragbar geworden. Erst gefährdete er die Geschäfte, nun betrog er auch noch seine Partner. O‘Banion musste verschwinden.

Der Tod von Dean O‘Banion

Zur selben Zeit verstarb Mike Merlo an Krebs. Merlo war der Vorsitzende der »Unione Siciliana« in Chicago. Die »Unione Sicilana« war eigentlich ein Interessensverband italienischer Einwanderer, aber in Wirklichkeit längst von der Cosa Nostra unterwandert. Zu Merlos Ehren plante man eine große Beerdigung. Die Mafiabosse bestellten Lkw-weise Blumen und Kränze bei O‘Banion.

Al Capone - Mike Merlo
Mike Merlo

Am 10. November 1924, zwei Tage nach Merlos Tod, befand sich O‘Banion in seiner Blumenhandlung und arbeitete an dem Großauftrag. Drei Männer, die verdächtig nach Gangster aussahen, betraten den Laden. O‘Banions Angestellte verließen auf ein Zeichen ihres Chefs hin das Geschäft.

Dean O‘Banion hatte die Besucher erwartet. Er glaubte, sie seien gekommen, um einen Kranz abzuholen. Als er ihnen zur Begrüßung die Hand entgegenstreckte, zog ihn einer der Männer am Arm und brachte ihn zu Fall. Die draußen wartenden Angestellten von O‘Banion hörten sechs Schüsse. Sie rannten in den Laden. Ihr Boss lag in einer Blutlache am Boden. Von den drei Besuchern fehlte jede Spur.


Schauplatz des Verbrechens, North Side Chicago: Heute nur noch ein Parkplatz, früher „Schofield’s“. Der Blumenladen, in dem Dean O’Banion starb, existierte noch bis Anfang der 1940er.

 

Heute gilt als gesichert, dass zwei der Attentäter die gefürchteten sizilianischen Auftragskiller John Scalise und Albert Anselmi waren. Unklarheit herrscht nach wie vor darüber, ob es sich bei dem dritten Täter um Frankie Yale handelte. Er befand sich anlässlich der Beerdigung von Mike Merlo in Chicago. Doch möglicherweise war auch Mike Genna, einer der Genna-Brüder, an dem Mordanschlag beteiligt. Keiner der Männer wurde jemals wegen des Verbrechens angeklagt.

Übernahme von O‘Banions Anteilen

Johnny Torrio und Al Capone übernahmen im Handstreich O‘Banions gesamte Beteiligungen an illegalen Machenschaften. Zudem hatten sie sich eines unberechenbaren Konkurrenten entledigt. Sie schienen allen Grund zum Feiern zu haben.

Jedoch lauerte, noch unbemerkt von ihnen, bereits die nächste Gefahr auf sie. Denn während die Polizei noch ratlos grübelte, wer für den Tod von Dean O‘Banion verantwortlich war, wusste O‘Banions Geschäftspartner Hymie Weiss längst Bescheid, wer hinter dem Attentat steckte. Und er schwor den Mördern seines engen Freundes Dean O‘Banion tödliche Rache.

 

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