(2) Das Phantom mit dem fauligen Atem

0

In der Nacht des 29. Mai 1985 schlug der Killer wieder im Nordosten von Los Angeles zu. Dieses Mal war sein Ziel Monrovia im San Gabriel Valley. Er drang in das Haus der 83-jährigen Mabel Bell ein, die dort ihre kranke, 81-jährige Schwester Florence Lang pflegte. Die Hausbewohnerinnen sorgten sich nicht vor Einbrechern, sodass der Täter durch die unverschlossene Haustür ins Gebäude gelangen konnte.

Ein zerborstener Hammerschaft und Pentagramme

Er fand einen Hammer in der Küche. Mit dem Werkzeug schlug er erst auf Florence Lang ein, dann auf Mabel Bell. Die Schläge waren so heftig, dass der Hammerschaft zerbarst. Er schnappte sich das Stromkabel eines Radioweckers, riss es aus dem Gerät und hielt den blanken Draht an den Körper von Mabel Bell. Er entdeckte den Lippenstift der Frau, mit dem er ein Pentagramm auf die Innenseite ihres Oberschenkels zeichnete. Er kehrte in das Schlafzimmer von Florence Lang zurück. Er riss der schwer kranken Frau das Nachthemd vom Leib und vergewaltigte sie. Als er fertig war, schmierte er mit dem Lippenstift ein weiteres Pentagramm an die Wand.

Zwei Tage später, am 1. Juni, erschien ein Handwerker, der für diesen Termin zum Haus von Mabel Bell bestellt worden war und die Polizei verständigte. Angesichts des Alters der Opfer und der Schwere der Verletzungen war es kaum zu glauben, aber die Schwestern lebten noch. Allerdings waren sie in ein Koma gefallen. Der Arzt stellte bei den Frauen mehrere Schädelfrakturen und Einrisse im Vaginalbereich fest. Der Täter hatte so fest zugeschlagen, dass die Hirnmasse teilweise frei lag. Florence Lang überlebte schließlich die Attacke, während ihre Schwester Mabel Bell ihren schweren Verletzungen am 17. Juli erlag.

Die Ermittler fanden in der Küche zwei halb aufgegessene Bananen und mehrere geöffnete Cola-Dosen vor. In der Toilette stand noch Urin, vermutlich vom Täter. Der Eindringling war zudem in eine Blutlache getreten und hatte einen Fußabdruck hinterlassen.

Im Schrank gefangen

Bereits in der Nacht nach dem Überfall auf die beiden älteren Damen, am 30. Mai 1985, fuhr der Täter nach Burbank, etwas 25 km im Nordwesten von Monterey Park gelegen. Er entdeckte ein Haus mit einer Hundeklappe an der Rücktür. Er griff mit dem Arm durch die Klappe und entriegelte die Tür. Er schlich sich ins Schlafzimmer und richtete den Strahl seiner Taschenlampe auf die schlafende Carol Kyle. Die 42-jährige Frau erwachte. Er fragte sie, wer sich noch im Haus aufhalte. Nur ihr 11-jähriger Sohn, antwortete die geschockte Frau.

Der Täter zwang die Frau mit vorgehaltener Waffe, sie in das Kinderzimmer zu führen. Er hielt dem Jungen die Pistole an den Kopf und forderte die Mutter auf, sich mit einer Handschelle an ihren Sohn zu ketten. Anschließend führte er seine Geiseln in den Flur und sperrte sie dort in einen Schrank.

Der Einbrecher durchsuchte das Haus, kehrte aber bald wieder zurück. Er wollte von der Frau wissen, wo sie ihre Wertgegenstände aufbewahre. Sie versprach, ihm eine goldene Halskette mit Diamantbesatz auszuhändigen, wenn er ihrem Jungen nichts tue. Der Täter löste die Handschelle und band dem Sohn beide Enden um und ließ ihn im Schrank zurück. Die Frau fesselte er mit einer Strumpfhose. Sie führte ihn zu einer Kommode ins Schlafzimmer, in der sie ihren Schmuck aufbewahrte. Sie dachte, ihn damit besänftigt zu haben. Stattdessen warf er die Frau aufs Bett.

Der Mann riss Carol Kyle das Nachthemd und den Slip vom Leib. Er vergewaltigte die Mutter oral und anal. Er holte sich eine Cola aus der Küche. „Du hast Glück, dass ich dich leben lasse. Ich habe viele Leute getötet, weißt du.“ Schließlich reichte er ihr das Nachthemd, damit sie sich bedecken konnte. Er brachte ihren Sohn zu ihr ins Schlafzimmer und fesselte beide ans Bett. Den Handschellenschlüssel ließ er auf dem Kaminsims zurück. Carol Kyle hatte ihrem Peiniger zuvor verraten, dass sie im Laufe des Tages mit der Rückkehr ihrer Tochter rechne.

Fauliger Atem

Bevor der Vergewaltiger verschwand, drohte er seinem Opfer noch, sie erneut aufzusuchen, sollte sie der Polizei von dem Geschehen erzählen. Carol Kyle ließ sich von der Drohung nicht einschüchtern. Sobald ihre Tochter sie befreit hatte, verständigte sie die Behörden. Sie gab den Ermittlern eine detaillierte Täterbeschreibung.

Ihrem Eindruck zufolge handelte es sich bei dem schlanken, jungen Täter mit langen, dunklen Locken um einen Mann hispanischer Herkunft. Neben seinem stechenden Blick war ihr vor allem ein heftiger, fauliger Mundgeruch aufgefallen. Die Polizei von Burbank sah keine Verbindung zu den Einbrüchen und Morden der vergangenen Wochen. So erfuhr Detective Carrillo vom Sheriff-Büro von diesem Fall zunächst nichts.

Über den mangelnden Willen zur Kommunikation zwischen den Behörden habe ich bereits eingangs berichtet. In dem konkreten Fall gab es zumindest eine plausible Rechtfertigung für dieses Verhalten: Nach dem damaligen Wissensstand stellten Serienmörder in der Regel dem gleichen Opfertyp nach und gingen mehr oder wenige nach dem immer gleichen Schema vor. Dieser Täter war anders. Seine Opfer wie die Zazzaras, Bill Doi, Dayle Okazaki und Veronica Yu ähnelten sich in fast nichts, der Modus Operandi wies große Unterschiede auf. Die Polizisten konnten also kaum Parallelen erkennen, wenn sie sich an das Lehrbuch hielten.

Höchst persönlich

Aber jenseits des Lehrbuchs gab es noch die kriminalistische Intuition. Nur wenige Wochen später wurde der Fall nämlich höchst persönlich für Detective Carrillo. Dieses Mal tauchte der Täter in unmittelbarer Nähe des Hauses seiner Mutter in Pico Rivera auf, die wiederum in weniger als einem Kilometer Entfernung von den Zazzaras lebte. Am 27. Juni hörte Susan Rodriguez gegen Mitternacht verdächtige Geräusche an ihrem Esszimmerfenster, als sie sich die Spätnachrichten im Fernsehen anschaute. Sie rief ihren Mann John herbei, der als Polizeibeamter für das Sheriffbüro des Los Angeles County arbeitete und bereits im Bett lag.

Als das Ehepaar das geöffnete Fenster sah, war ihnen klar, dass etwas nicht stimmen konnte. Das Fenster ließ sich nämlich seit dem letzten Anstrich vor zwei Jahren nicht mehr öffnen, weil der Lack den Rahmen verklebt hatte. Offensichtlich hatte jemand mit einem Schraubenzieher das versiegelte Fenster aufgestemmt. Zudem war das Fliegengitter abgenommen worden.

Doch der Täter war augenscheinlich verschwunden, als er das Ehepaar im Haus miteinander reden hörte. Ganz spurlos ging seine Flucht jedoch nicht vonstatten. Im Gartenbeet unter dem Esszimmerfenster konnte später der Abdruck eines Avia-Sportschuhs sichergestellt werden. Der Polizist meldete den Einbruchsversuch umgehend bei seiner Wache, sodass auch sein Kollege Detective Carrillo davon erfuhr.

Missglückte Verkehrskontrolle

Der flüchtige Serienmörder unternahm derweil in der gleichen Nacht einen weiteren Einbruchsversuch. Dieses Mal wollte er dem äußeren Anschein nach ein Mädchen in Eagle Rock entführen. Er wurde von Familienangehörigen entdeckt und rannte davon. Die Zeugen beobachteten, dass der Täter in einem Toyota flüchtete, und verständigten die Polizei.

Rund eine Stunde später fiel einer Motorradstreife ein Toyota auf, der eine Ampelkreuzung bei Rot überquerte. Der Polizist hielt den Wagen an. Der junge Fahrer konnte weder einen Fahrzeugschein noch einen Führerschein vorweisen. Doch obwohl der Polizist kurz zuvor den Fahndungsaufruf nach einem flüchtigen Täter in einem Toyota über Funk mitgehört hatte, zählte er nicht eins und eins zusammen. Er wollte dem Mann lediglich einen Strafzettel ausstellen.

Den Fahrer machte die Untersuchung zunehmend nervös. Als der Streifenbeamte nochmals zu seinem Motorrad ging, nutzte der Mann die Gelegenheit und türmte. Zuvor zeichnete er aber noch mit dem Finger schnell ein Pentagramm auf die dreckverschmierte Motorhaube des Toyotas. Der Polizist nahm zwar die Verfolgung des Flüchtigen auf, jedoch ohne Erfolg.

Er kehrte zum Toyota zurück und durchsuchte den Wagen. Er fand eine Brieftasche mit hundert Dollar in bar, die Visitenkarte eines Zahnarzts und ein Adressbuch mit einem halben Dutzend Telefonnummern. Aber dann machte der Motorrad-Cop seinen zweiten Fehler in dieser Nacht. Er forderte kein Team der Spurensicherung an. Da der Flüchtige während der Überprüfung keine Handschuhe trug, hatte er mit hoher Wahrscheinlichkeit Fingerabdrücke im oder am Wagen zurückgelassen – nicht zuletzt infolge der Pentagrammzeichnung auf der Fronthaube.

Am nächsten Morgen erfuhr Detective Gil Carrillo von den Vorkommnissen in der Nacht. Die versuchte Entführung und die missglückte Verkehrskontrolle fielen aber in den Zuständigkeitsbereich des LAPD. Und die verantwortlichen Kollegen dort wollten nicht mit ihm zusammenarbeiten. LAPD (Stadtpolizei von Los Angeles) und Sheriff Department (Bezirkspolizei des Los Angeles County) waren sich seit Jahrzehnten spinnefeind.

Avia Aerobic

Carrillo ließ sich nicht abschrecken. Er nahm wieder Kontakt zu Frank Salerno auf. Er berichtete ihm, dass man an einem potenziellen Tatort erneut den Abdruck eines Avia Aerobic Turnschuhs gefunden hatte. Wie könnte Ihnen diese Spur nutzen? Sie diskutierten verschiedene Ansatzpunkte. Welche Läden verkauften dieses Modell? Wie viele Schuhe dieses Typs waren in der Vergangenheit in Los Angeles und Umgebung überhaupt verkauft worden?

Der Täter hatte Schuhgröße 44 (11 ½). Vielleicht waren in dieser Größe nur wenige Paare verkauft worden. Möglicherweise ließ sich sogar herausfinden, in welchen der Schuhgeschäfte diese speziellen Schuhe abgesetzt wurden. Und vielleicht konnte sich einer der Verkäufer an den Mann erinnern. Was, wenn er gar ein Stammkunde war? Salerno und Carrillo beschlossen, nichts unversucht zu lassen. Sie würden den Fall ab nun gemeinsam untersuchen.

Zwei weitere Morde

Bereits am Tag darauf, am 28. Juni, riefen Streifenpolizisten die beiden Kriminalbeamten zu einem Tatort nach Arcadia. Opfer war die 28-jährige Lehrerin Patty Higgins. Die Frau hatte vor ihrem Tod heftige Schlagverletzungen erlitten. Ihr Kopf war fast abgetrennt. Der Gerichtsmediziner stellte am Hals sowohl Hieb- als auch Stichverletzungen fest. Zudem hatte der Täter das Mordopfer anal vergewaltigt.

Die Art der Tatdurchführung und das hohe Maß an Gewalt deuteten auf den Serientäter hin. Doch dieses Mal fanden sich weder ein Projektil vom Kaliber .22 noch Abdrücke eines Turnschuhs am Tatort. Vier Tage später hatten Carrillo und Salerno Gewissheit. Der Mörder schlug am 2. Juli ein weiteres Mal in Arcadia zu.

Der Täter drang in der Nacht in das Haus der 75-jährigen Mary Louise Cannon ein, die dort alleine lebte. Wie bereits mehrfach zuvor entfernte er zunächst ein Fliegengitter und verschaffte sich dann über das dahinter befindliche Fenster Zugang zum Haus. Mary Cannon schlief bereits und bemerkte den Eindringling augenscheinlich nicht.

Der Mann schnappte sich eine Nachttischlampe und schlug der Frau auf den Kopf. Anschließend würgte er Mary Cannon bis zur Bewusstlosigkeit. Er besorgte sich in der Küche ein Messer, mit dem er wiederholt auf den Hals des Opfers einstach und der Frau die Kehle durchtrennte. Die daraus resultierenden Wunden ähnelten den Verletzungen von Patty Higgins. Aus diesem Umstand schlossen Carrillo und Salerno, dass der gleiche Täter für beide Mordfälle verantwortlich war. Zudem lagen die Tatorte nicht weit voneinander entfernt.

Verräterische Spuren

Der Mörder von Mary Cannon hatte noch das Haus nach Wertgegenständen durchwühlt. Dabei hatte er jedoch verräterische Spuren zurückgelassen. Im Gewebe des neu verlegten Teppichs war ein Schuhabdruck zurückgeblieben. Die Beamten ließen das Stück aus dem Bodenbelag ausschneiden und ins Labor bringen. Außerdem war der Täter noch auf ein Taschentuch getreten und hatte dort ebenfalls ein Wabenmuster zurückgelassen, wie es für den Avia Aerobic Sneaker typisch war.

Mit den jüngsten Fällen hielten Carrillo und Salerno den Beweis in Händen, dass ein gefährlicher Serienmörder sein Unwesen in Los Angeles trieb – und zwar, ohne Rücksicht auf Bezirksgrenzen und Polizeizuständigkeiten zu nehmen. Sie konnten ihren Vorgesetzten Captain Bob Grimm überzeugen, eine eigenständige Ermittlungsgruppe einzurichten. Er bewilligte die notwendigen Ressourcen und erklärte sich bereit, die Untersuchung zu verteidigen, sollten sich andere Stellen beschweren.

 

weiter zu —> (3) Los Angeles in Panik

 

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein