(13) Staatsfeind Nummer eins

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Das Valentinstag-Massaker katapultierte Al Capone über Nacht ins Bewusstsein der gesamten amerikanischen Öffentlichkeit. Die Zeitungen im ganzen Land schrieben über ihn. So einen Gangster hatte Amerika nie zuvor gesehen. Die Menschen waren brutale Schlägervisagen, tumbe Taugenichtse und kaputte Außenseitertypen gewohnt. Nun trat ihnen ein elegant gekleideter, gewitzter Bursche entgegen, der einen erlesenen Geschmack pflegte und von bemerkenswerter Dreistheit war.

Während seine Leute reihenweise Menschen abmurksten, hockte er seelenruhig zu Hause bei Frau und Kind in einer der teuersten Villengegenden von Miami und tat so, als könne er keiner Fliege etwas zuleide tun. In seinen Interviews ließ er den Selfmade-Millionär heraushängen, der es alleine dank Fleiß und Disziplin bis ganz nach oben geschafft hatte. Nebenbei erklärte er den Jungs von der Wall Street noch, wie die Dinge im richtigen Geschäftsleben liefen. Dieser Bursche ließ niemanden kalt. Jeder hatte alsbald eine Meinung zu Al Capone.

Der Präsident greift ein

Capone genoss seinen Ruhm in vollen Zügen. Er engagierte sogar einen Presseagenten, um die unzähligen Medienanfragen zu koordinieren. Doch er schätzte die Lage vollkommen falsch ein. Die meisten Menschen bewunderten ihn nicht. Sie hatten für ihn ähnlich viele Sympathien übrig wie für ein tollwütiges Tier. Und er rief mit seiner eitlen Selbstdarstellung nun endgültig die falschen Gegner auf den Plan.

US-Präsident Herbert Hoover war so angewidert, dass er alle Bundesbehörden anwies, Mr. Capone und seine Verbündeten so schnell wie möglich aus dem Verkehr zu ziehen. Anfang März 1929 fragte Hoover seinen Finanzminister Andrew Mellon, wie die Ermittlungen der Steuerbehörde im Fall Capone vorankamen. Noch reichten die Beweise nicht für eine Anklage. Doch der Finanzminister nahm die Frage als Anlass, den Druck zu erhöhen.

Al Capone - Herbert Hoover
Präsident Herbert Hoover

Neue Ermittlungsgruppe um Eliot Ness

Elmer Irey und die Steuerfahndung blieb weiter an dem Fall dran. Doch darüber hinaus setzte Andrew Mellon ein Team junger ehrgeiziger Agenten des Bundesschatzamtes auf Al Capone an. Sie sollten Beweise dafür finden, dass Capone gegen die Bestimmungen des Prohibitions-Gesetzes verstieß. Zum Leiter dieser Ermittlungsgruppe ernannte er Eliot Ness. Die Koordination beider Ermittlungsgruppen vertraute er US-Bundesanwalt George Johnson an, Capones Erzfeind.

Al Capone - Eliot Ness
Eliot Ness

Finanzminister Mellon hegte insgeheim Zweifel, dass man dem cleveren Capone irgendwelche schwerwiegenden Verstöße gegen das Strafrecht nachweisen konnte. Seine Hoffnungen ruhten vielmehr darauf, dass sich so ein immenses Vermögen, wie es Capone durch die Prohibition angehäuft hatte, kaum verschleiern ließ.

Mellon war überzeugt, dass dem mächtigen Mafiaboss letztlich die Rechtssprechung im Fall Manny Sullivan zum Verhängnis würde. Steuerhinterziehung wurde zwar nicht wie Mord geahndet. Die Strafen, die das Gesetz vorsah, waren aber dennoch sehr empfindlich. Sie würden Capone lange hinter Gittern bringen.

Al Capone - Andrew Mellon
Finanzminister Andrew Mellon

Das Treffen von Atlantic City

Al Capone hatte von diesen Entwicklungen keinen blassen Schimmer. Erst im Mai 1929 bekam er eine Ahnung, welche Gegner er sich inzwischen eingehandelt hatte. In diesem Monat reiste er zu einem Treffen nach Atlantic City, wo sich Vertreter der mächtigsten Verbrechersyndikate des Landes trafen. Hier wurde die Zeit nach der Prohibition geplant.

Dazu teilten sie die USA in »Interessensgebiete« auf. Jeder Clan bekam eine Region zugeschlagen, in dem er das alleinige Sagen hatte. Eine Kommission, die sich aus den einflussreichsten Mafiabossen zusammensetzte, sollte zukünftig Konflikte zwischen den verschiedenen Syndikaten schlichten und eventuell notwendige Sanktionen verhängen.

Wer sich nicht an die Maßgaben der Kommission hielt, legte sich von nun an mit der gesamten Cosa Nostra an. Bandenkriege gehörten damit der Vergangenheit an. Sie schadeten dem Geschäft. Die amerikanische Mafia fusionierte, um ihre erreichte Machtposition zu stärken und auszubauen.

Die anwesenden Mitglieder ernannten Johnny Torrio zum ersten Vorsitzenden der Kommission. Torrio war inzwischen wieder aus seinem italienischen Exil zurückgekehrt. Seit der Machtergreifung von Benito Mussolini machte das faschistische Regime Jagd auf die sizilianische Mafia. Torrio war nicht länger erwünscht in Italien gewesen.

Al Capone - Johnny Torrio
Johnny Torrio, 1936

Für Al Capone lief das Treffen weniger zufriedenstellend als für Torrio. Die übrigen Mafiabosse fürchteten seine Macht und neideten ihm seinen Erfolg. Sie verlangten von ihm, dass er sein kriminelles Imperium an Torrio übergeben solle, damit dieser es nach seinem Gutdünken aufteile. Capone hatte allerdings nicht die Absicht, dem nachzukommen. Der erste Streitfall, mit dem sich die Kommission auseinanderzusetzen hatte, war also bereits vorprogrammiert.

Im Räderwerk der Justiz

Nach dem Treffen reiste Al Capone nach Philadelphia weiter und besuchte am Abend eine Kinovorstellung. Als der Film vorüber war, empfingen ihn draußen zwei Polizeibeamte. Sie durchsuchten ihn und fanden eine Handfeuerwaffe – ein ausreichender Grund für eine Festnahme.

Al Capone
Al Capone bei seiner Verhaftung

Nun ging alles rasend schnell. Der Staatsanwalt reichte sofort Anklage ein. Nur 16 Stunden nach seiner Verhaftung hatte das Gericht Al Capone zu einer einjährigen Gefängnisstrafe verurteilt, die er im Eastern Penitentiary in Philadelphia absitzen musste. Spätestens zu diesem Zeitpunkt musste es Capone dämmern, dass die Ermittlungsbehörden es auf ihn abgesehen hatten. Hier hatte das ansonsten komplizierte Räderwerk der Strafverfolgung nur allzu reibungslos funktioniert.

Al Capone - Gefängnis
Gefängniszelle von Al Capone in Philadelphia

Capone betraute seinen Bruder Ralph, Jake Guzik und Frank »The Enforcer« Nitti mit der Leitung seiner Geschäfte. Am 16. März 1930 wurde Capone nach neun Monaten Haft vorzeitig wegen guter Führung entlassen. Nur eine Woche später veröffentlichte die Chicago Crime Commission eine Liste mit den Namen von Al Capone und seinen Verbündeten Ralph Capone, Frank Rio, Jack McGurn und Jake Guzik.

Most Wanted

Bei der Chicago Crime Commission handelte es sich um eine Bürgerinitiative, die sich dem Kampf gegen Korruption und das organisierte Verbrechen in ihrer Heimatstadt verschrieben hatte. J. Edgar Hoover, Direktor des FBI, war immer interessiert daran, das Image seiner jungen Behörde durch medienwirksame Inszenierungen aufzupolieren. Als er die Liste zu Gesicht bekam, brachte sie ihn auf eine folgenreiche Idee.

Al Capone - J. Edgar Hoover
J. Edgar Hoover, 1924

Er fertigte mit den Konterfeis von Al Capone und seinen Kumpanen einen Steckbrief an, den er »Die zehn meistgesuchten Verbrecher des Landes« nannte – bis heute eine Institution in den USA. Nun hing Capones Porträt in jedem öffentlichen Gebäude in den Vereinigten Staaten aus.

Ausgerechnet Al Capone galt nun als »Staatsfeind Nummer eins«, obwohl er so viel Mühe darauf verwendet hatte, als angesehenes Mitglied dieser amerikanischen Gesellschaft wahrgenommen zu werden. Capone fühlte sich gedemütigt und zutiefst beleidigt. Doch dies war alles nur das Vorgeplänkel. Zum wirklich vernichtenden Schlag holten seine Gegner gerade erst aus.

 

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