Alle großen New Yorker Zeitungen veröffentlichten eine Zusammenfassung des Täterprofils von Dr. James Brussel. Wie sagt man in so einem Fall? Der Artikel schlug ein wie eine Bombe. Inspector Howard Finney hatte es vorhergesagt. Die massive Berichterstattung wirkte wie ein Weckruf für Spinner aller Art. In den wenigen Tagen bis zum Jahresende explodierte die Zahl der falschen Geständnisse und Fehlalarme in New York. Allein am 28. Dezember registrierte die Polizei 50 Meldungen von angeblichen Bombenfunden, am nächsten Tag nochmals zwanzig weitere.
Die Polizeireviere waren überfüllt mit Leuten, die sich selbst bezichtigten, der gesuchte »Mad Bomber« zu sein. Die Sonderkommission hatte wohlweislich an die Presse keine detaillierten Darstellungen der Rohrbomben weitergereicht. Als die reuigen Sünderlein vorführen sollten, wie sie die Sprengsätze gefertigt hatten, rasselten sie ausnahmslos alle durch die Aufnahmeprüfung.
Zu den Geständigen gesellten sich Scharen von hilfsbereiten Bürgern, die ihre Kollegen, Nachbarn oder Freunde verpfiffen. Jeder kannte irgendjemanden, der dem Täterprofil ähnelte. Und nach der Lektüre des Artikels waren die Leute felsenfest davon überzeugt, dass diese Person der gesuchte »Mad Bomber« war. Die Belohnung von 26.000 US-Dollar mochte ihr Übriges zur plötzlichen Erkenntnis beitragen.
Der verrückte Katzenmann
Da war zum Beispiel ein älterer Mann von der Upper West Side, der sich bei der Polizei meldete und die Beamten über einen polnischen Nachbarn in Kenntnis setzte. Der Nachbar lebe bei seiner Tante und hantiere häufiger mit Metall herum. Er verließe zu ungewöhnlichen Zeiten das Haus und schleppe häufiger Pakete mit sich herum, die eigentümliche Formen hätten. Die Beamten befragten den verdächtigen Nachbarn. Es stellte sich heraus, dass der Mann ein aufstrebender Bildhauer war, der seine modernen Plastiken auf den Straßen des Greenwich Village verkaufte.
Ein anderer Zeuge informierte die Polizei über einen exzentrischen Kumpel, den er aus Army-Zeiten kannte. Der Mann sei beim Militär Sprengstoffexperte gewesen und habe früher für Con Edison gearbeitet. In seiner Freizeit füttere er umherstreunende Katzen. Sei das nicht verrückt? Die Polizei beschattete den geheimnisvollen Katzenfütterer ein paar Tage lang. Ergebnis der Observation: Der Mann mochte für sein Leben gerne Katzen. Mehr war da nicht.
Der Fußfetischist
Ein Pendler aus Darien (Connecticut) erzählte der Polizei von einem Nachbarn. Der Mann habe für Consolidated Edison gearbeitet und sei darüber hinaus einige Zeit in einer psychiatrischen Klinik wegen Verfolgungswahn behandelt worden. Der Mann sei ein fähiger Mechaniker und lebe mit einer älteren Frau zusammen – seiner zehn Jahre älteren Gattin. Der letzte Fakt entsprach nicht dem Profil, aber der Rest klang in der Tat vielversprechend.
Die Ermittler fragten Dr. Brussel nach seiner Einschätzung. Er wolle nicht ausschließen, dass die Beziehung zu einer älteren Ehefrau ebenfalls auf einen ödipalen Komplex hindeuten könne. Zudem berichtete der Zeuge, dass er den fraglichen Mann häufig mit einem blauen Koffer beobachtet habe. Den habe er immer mit sich geführt, wenn er nach New York gefahren sei. Seit Jahren habe er schon vergeblich versucht herauszubekommen, was der Nachbar in diesem mysteriösen blauen Koffer verstecke. Nachdem er den Bericht über den »Mad Bomber« in der Zeitung gelesen habe, sei es ihm wie Schuppen von den Augen gefallen.
Die Polizei stellte dem Verdächtigen nach und erwischte ihn mit dem blauen Koffer in flagranti. Die Beamten ließen sich den Kofferinhalt zeigen. Der Mann präsentierte ihnen ein Paar hochhackiger Damenschuhe. Er war Fußfetischist und suchte regelmäßig Prostituierte in New York auf, um seiner Passion zu frönen.
Auch Dr. James Brussel ging einer falschen Fährte auf den Leim. Ein Kollege erzählte ihm von einem Patienten, der einen irrationalen Hass gegen die Firma Con Edison empfinde. Brussel besorgte sich die Krankenakte. Der Mann stimmte in vielen Punkten mit dem Profil überein. Nur ein entscheidendes Detail passte nicht. Der Verdächtige besaß für einige Anschläge ein wasserdichtes Alibi. Denn da saß er in der geschlossenen Abteilung einer psychiatrischen Anstalt.
»Hier ist F.P.«
Die Sonderkommission fischte im Trüben und kam dem »Mad Bomber« kein Stück näher. Das erledigte George Metesky dann selbst. Er meldete sich kurzerhand persönlich bei Dr. Brussel und machte ihm gleich klar, was für ein gerissener Bursche er war. Denn er rief Brussel auf einem Apparat an, dessen Nummer in keinem einzigen öffentlichen Verzeichnis auftauchte.
»Hallo?«, fragte der verdutzte Dr. Brussel.
»Spreche ich mit Dr. Brussel, dem Psychiater?«
»Ja, hier spricht Dr. Brussel.«
»Hier ist F.P. Halten Sie sich aus dem Fall raus oder Sie werden es bereuen.« Sprach‘s und hängte im nächsten Moment schon wieder auf.
Brussel wusste, dass er mit dem wirklichen Täter gesprochen hatte. Die Zeitungen hatten das Kürzel »F.P.«, mit dem er seine Briefe seit 1940 immer signiert hatte, in keinem Artikel erwähnt. Brussel wertete das Telefonat als positives Zeichen. Der »Mad Bomber« war überheblich. Er wollte jedem beweisen, wie clever er war. Genau diese Arroganz würde ihm eines nicht mehr allzu fernen Tages zum Verhängnis werden, war Brussel überzeugt.
Zeit der Verständigung
Am Tag nach der Veröffentlichung des Täterprofils legte die Polizei nach. Sie hatte die Zeitung »New York Journal« dazu überreden können, einen Artikel aufzunehmen, der den »Mad Bomber« dazu drängte, sich den Behörden zu stellen. Der Text war in enger Absprache mit Dr. James Brussel entstanden. Der Verfasser versprach dem Attentäter ein faires Verfahren, in dem er auch die Gründe für seine Anschlagsserie öffentlich machen dürfe.
George Metesky schrieb tatsächlich gleich am folgenden Tag zurück. Er würde sich nicht freiwillig stellen. Aber er verspüre nach wie vor das Verlangen, Consolidated Edison vor Gericht zu bringen. Um der Zeitung und der Polizei zu demonstrieren, dass er ihre Geste zu schätzen wusste, listete Metesky alle Bombenverstecke auf, die er 1956 genutzt hatte. Ihn treibe die Sorge um, so George Metesky, dass die Polizei noch nicht alle Sprengsätze entschärft habe.
Das Schreiben beendete er wörtlich wie folgt: »Meine Tage auf Erden sind gezählt. Den Großteil meines Erwachsenenlebens habe ich im Bett verbracht. Mein einziger Trost ist, dass ich die heimtückischen Anschläge auf mich vergelten kann – auch noch aus meinem Grab.«
Die Polizei nahm einige kleinere Änderungen an Meteskys Brief vor und gab ihn dann zur Veröffentlichung frei. Der Brief wurde am 10. Januar 1957 abgedruckt. Dem Artikel war die Bitte an Metesky angefügt, ihnen mehr über seine körperlichen Beschwerden mitzuteilen.
Ein Arbeitsunfall mit Folgen
George Metesky ging auf das Spiel ein. Sein nächster Brief enthielt Details über die Zusammensetzung der Bomben. Er gab zum Beispiel an, dass er das Schießpulver für Pistolen dem für Gewehre vorziehen würde, weil es mehr Sprengkraft besäße. Er versprach zudem eine »Waffenpause« bis mindestens zum 1. März 1957. Dann äußerte er sich zu den Ereignissen, die bei Con Edison vorgefallen waren.
Er habe einen Arbeitsunfall erlitten und sei seitdem vollständig arbeitsunfähig geschrieben. »Wenn ein Autofahrer einen Hund anfährt, muss er den Unfall melden. Nicht so, wenn sich ein Arbeiter verletzt. Der wird offensichtlich geringer eingestuft als ein Hund. Ich habe mich mit meiner Geschichte an die Presse gewendet. Nicht nur an eine Zeitung, sondern an hunderte. Ich habe unzählige Worte geschrieben (es waren um die 800.000). Niemand hat das gekümmert. Ich hatte mir vorgenommen, dieses hinterhältige Handeln offenzulegen. Dann blieb mir viel Zeit nachzudenken. Ich entschied mich für die Bomben.«
Meteskys zweiter Brief ging am 15. Januar 1957 in Druck. Der Artikelverfasser forderte den »Mad Bomber« auf, weitere Details zu dem Arbeitsunfall und dem anschließenden Prozess zu benennen. Man könne dafür sorgen, dass der Fall neu aufgerollt würde und er endlich ein faires Verfahren bekomme.
Der »Mad Bomber« macht einen entscheidenden Fehler
George Metesky schrieb am 19. Januar zurück. Er beschwerte sich darin, dass man ihn zum Zeitpunkt des Unfalls stundenlang auf dem kalten Betonboden habe liegen lassen, ohne Erste Hilfe zu leisten. Er habe deswegen eine Lungenentzündung davongetragen, die sich in der Folge zu einer Tuberkulose ausgewachsen habe. Metesky lieferte auch Details zum Gerichtsverfahren. Er beklagte, dass seine Kollegen damals »Meineide« zu seinen Ungunsten geschworen hätten. Dann offenbarte der »Mad Bomber« endlich die entscheidende Information, auf die die Ermittler gehofft hatten. Er nannte das konkrete Datum, an dem sich der Arbeitsunfall ereignet hatte: der 5. September 1931. George Metesky hatte darauf spekuliert, dass ein Stromriese wie Con Edison viel zu borniert sei, um Akten von einem 25 Jahren alten Vorfall noch aufzubewahren.
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Meteskys Brief, der zu seiner Verhaftung führte
Metesky deutete zudem an, dass er bereit wäre, sich zu stellen, wenn er die Chance auf ein neues Verfahren bekäme. Doch er müsse Rücksicht auf seine Familie nehmen. Sie wäre für immer gebrandmarkt, wenn herauskäme, was er angestellt habe. Er dankte der Zeitung ausdrücklich dafür, dass sie seinen Fall nun der Öffentlichkeit bekannt gemacht habe. Er sähe infolgedessen in Zukunft von weiteren Anschlägen ab. Meteskys Brief wurde am Dienstag, dem 22. Januar, abgedruckt – einen Tag nachdem man den »Mad Bomber« endlich nach all den Jahren dingfest gemacht hatte.
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