(9) Der Prozess gegen George Metesky

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Die Festnahme und das Geständnis von George Metesky hätten Alice Kelly eigentlich zur wohlhabenden Frau machen müssen. Sie hatte den entscheidenden Tipp gegeben und deshalb Anspruch auf die stattliche Belohnung von 26.000 US-Dollar – inflationsbereinigt eine knappe Viertelmillion Dollar. Doch es kam anders.

Nach der Verhaftung hieß es in den Ermittlungsakten, dass der Hinweis einem New Yorker Polizeibeamten zu verdanken sei. Das war schön für die Behörden. Es bedeutete nämlich, dass sie kein Geld auszuzahlen brauchten. Erst später, als das NYPD eine Untersuchung in Gang setzte, wer die Belohnung verdient hatte, stellte sich heraus, dass Alice Kelly, einer Mitarbeiterin von Con Edison, dieser Verdienst gebührte.

Keiner will die Belohnung

Die Polizei entschuldigte sich und sprach von einem Missverständnis. Im ursprünglichen Bericht habe es geheißen, dass ein Beamter des NYPD die betreffende Akte zu Metesky am Montag, dem 21. Januar 1957, besorgt habe – besorgt im Sinne von »abgeholt« aus dem Büro von Con Edison. In den weiteren Berichten, die danach entstanden, sei diese Bemerkung aber fehlinterpretiert worden. Man sei davon ausgegangen, dass der Beamte den Hinweis auch tatsächlich beschafft habe, sprich selbstständig in dem Aktenwust gefunden habe.

Also sprach man Alice Kelly letzten Endes das Geld dann doch zu. Die Begünstigte wollte nun aber gar nichts von der Belohnung wissen. Sie habe lediglich ihre Arbeit getan, äußerte sie. Ein Vorbild an Bescheidenheit, dem der Vorstand von Consolidated Edison nicht nachstehen wollte. Der Vorstand der Firma lehnte gleichfalls die Belohnung ab.

Da dürfte aber auch eine Rolle gespielt haben, dass die Polizei sich zuvor öffentlich beschwert hatte, dass der Stromkonzern die Ermittlungen behindert und damit die Festnahme verzögert habe. Man stelle sich vor, Con Edison hätte nun auch noch Geld dafür entgegengenommen. Da musste man kein Prophet sein, um vorherzusagen, was die Presse aus dieser Geschichte machen würde.

Einige Kapitalanleger, die Aktienpakete des Unternehmens hielten, hatten weniger Skrupel. Sie reichten Klage ein und verlangten, dass der Betrag der Firma gutgeschrieben würde, auch entgegen dem Vorstandswunsch. Was aus dieser Klage wurde, ist mir leider nicht bekannt.

Erfolg für James Brussel

Der Fall »Mad Bomber« kannte jedoch einen klaren Gewinner: Dr. James Brussel. Jeder Punkt seines Täterprofils hatte voll in Schwarze getroffen. Der Erfolg seiner Methode und die öffentliche Berichterstattung darüber bedeuteten, dass er in den nächsten Jahren bei zahlreichen weiteren Kriminalfällen als Berater fungierte wie etwa bei den Morden an Emily Hoffert and Janice Wylie (»Career Girls Murders«), dem Mordfall Carmela Coppolino oder dem sogenannten »Sonntags-Bomber«. Das berühmteste Verbrechen, in dem James Brussel als Profiler zum Einsatz kam, war sicherlich die Suche nach dem »Boston Strangler« Albert DeSalvo.

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Links James Brussel mit Glas und Pfeife, direkt neben ihm der berühmte Strafverteidiger F. Lee Bailey

Nicht immer war Brussel dabei der gleiche Erfolg beschieden wie im Fall »Mad Bomber«. Dennoch hinterließ James Brussel, als er 1972 in den Ruhestand trat, der Kriminalistik ein Vermächtnis. Er hatte der Ermittlungsarbeit eine neue Facette hinzugefügt, die heute zum festen Bestandteil moderner Polizeiarbeit zählt.

Was geschah mit George Metesky?

Der Fall George Metesky gelangte im April 1957 zu einer Anhörung vor einer Grand Jury, die darüber entscheiden musste, ob die vorgelegten Beweise reichten, um ein Verfahren zu eröffnen. Insgesamt 35 Zeugen sagten aus, darunter auch die Opfer der Anschläge. George Metesky selbst gestand 32 Bombenanschläge ein. Von ursprünglich 47 Anklagepunkten wurden im Endeffekt sieben zugelassen, bei denen es sich allerdings um die gravierendsten handelte. Metesky musste sich wegen Mordversuchs in sieben Fällen vor Gericht verantworten.

Zu Beginn des Prozesses bat der zuständige Richter Samuel S. Liebowitz die psychiatrischen Sachverständigen um ihr Gutachten. George Metesky hatte sich in den zurückliegenden Monaten zahlreichen psychiatrischen Untersuchungen unterziehen müssen. Nach Anhörung der Experten erklärte Richter Liebowitz den Angeklagten für unzurechnungsfähig.

Die Gutachten stimmten darin überein, dass George Metesky an paranoider Schizophrenie leide, sprich Wahnvorstellungen und Halluzinationen, zudem an unheilbarer Tuberkulose. Der Mann sei weder geistig noch körperlich in der Lage, sich einem Gerichtsverfahren zu stellen. Auf Anordnung des Gerichts wurde George Metesky am 18. April 1957 in die Anstalt Matteawan eingewiesen, einer forensischen Klinik in Beacon (New York).

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George Metesky in Haft

Forensische Klinik Matteawan

Als George Metesky in die Klinik eingeliefert wurde, hatte sich sein Gesundheitszustand dramatisch verschlechtert. Schuld war die fortgeschrittene Tuberkulose. Die Ärzte rechneten damit, dass der Patient nur noch wenige Wochen zu leben hatte. Wie durch ein Wunder erholte sich Metesky dank der Behandlung in der Klinik wieder.

Vielleicht trug zu seiner Genesung auch bei, dass die Zeitschrift »Journal American« ihr Versprechen wahr machte, das sie Metesky gegeben hatte, und einen neuen Prozess wegen des Arbeitsunfalls von 1931 anstrebte. Die Anwälte, die die Zeitschrift angeheuert hatte, reichten Klage gegen Con Edison ein. Sie argumentierten, George Metesky sei zum damaligen Zeitpunkt bereits geistig unzurechnungsfähig gewesen und habe nicht um seine Rechte gewusst. Die Firma habe diesen Umstand widerrechtlich zu ihren Gunsten ausgenutzt. Die Klage wurde allerdings abgewiesen.

Natürlich unterzog man George Metesky in Matteawan einer psychiatrischen Therapie, auf die er jedoch nicht ansprach. Er glaubte, seine behandelnden Ärzte seien Teil einer Verschwörung. Ansonsten verhielt sich Metesky in der forensischen Klinik stets wie ein Vorzeigepatient und verursachte keinerlei Probleme. Seine Schwestern besuchten ihn regelmäßig. Gelegentlich kam auch Dr. Brussel auf einen Sprung vorbei, wenn er in der Klinik zu tun hatte.

James Brussel fand den Patienten gesprächig und durchaus charmant. Metesky betonte gegenüber Brussel, dass er seine Bomben absichtlich so konzipiert habe, dass niemand getötet wurde. Einmal fragte Dr. Brussel Metesky ganz direkt, ob er selber glaube, verrückt zu sein. George Metesky lächelte lediglich und antwortete nicht.

Entlassung

Im 1973 entschied der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten, dass ein psychisch Kranker nicht ohne Verurteilung durch ein Geschworenengericht in einer Einrichtung des Justizvollzugssystems eingesperrt werden könne. Bei der forensischen Klinik in Matteawan handelte es sich um genau solch eine Einrichtung. Hier saßen ausschließlich Straftäter ein. So überführte man George Metesky, der ja formal nie für seine Taten verurteilt worden war, in das Creed Psychiatric Center, einer gewöhnlichen psychiatrischen Klinik.

Dort stellten die behandelnden Ärzte fest, dass von dem Patienten keinerlei Bedrohung ausginge. Für die Vergehen, derer Metesky angeklagt war, betrug die gesetzlich zulässige Höchststrafe 25 Jahre. Metesky hatte davon bereits zwei Drittel in Matteawan abgesessen. Dieser Umstand und die günstige Prognose bewegten die Ärzte schließlich dazu, George Metesky am 13. Dezember 1973 aus der Klinik zu entlassen. Die einzige Auflage, die Metesky erfüllen musste: Er hatte sich regelmäßig bei einer Klinik in der Nähe seines Wohnortes zu melden und dort untersuchen zu lassen.

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George Metesky am 12. Dezember 1973

George Metesky kehrte in seine Heimatstadt Waterbury zurück. Ein Reporter stöberte ihn hier nach seiner Entlassung auf und führte ein Interview mit ihm. Metesky äußerte zwar, dass er inzwischen der Gewalt vollkommen abgeschworen habe. Aber gleichzeitig erklärte er auch, dass er nach wie vor Wut auf Consolidated Edison verspüre. Dennoch ließ er sich nie wieder etwas zuschulden kommen. Die letzten zwanzig Jahre seines Lebens verbrachte er völlig zurückgezogen in Waterbury, bevor er 1994 im Alter von 90 Jahren verstarb. Die Zeitungen nahmen keinerlei Notiz von seinem Tod.

Nachahmer

George Metesky selbst geriet in Vergessenheit, aber dafür fanden seine Taten Nachahmer. Die Ermittler gehen davon aus, dass sowohl der »Unabomber« Ted Kaczynski als auch der Bombenattentäter Sam Melville und der Zodiac Killer sich den »Mad Bomber« zum Vorbild nahmen. Der Zodiac Killer beeinflusste vermutlich wiederum den »Son of Sam«-Killer David Berkowitz. Berkowitz und Melville sollten in den 1960ern und 1970ern neues Ungemach über New York und seine Bewohner bringen. George Metesky warf lange Schatten über die Millionenmetropole.

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