Kloster zur Hölle

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Wir schreiben das Jahr 1894. Das Kloster Mariaberg in Aachen, vermeintliche Heilanstalt für Geistliche, beherbergt in Wahrheit eine formidable Folterkammer für aufmüpfige Mitarbeiter der katholischen Kirche. Wer hier Vollpension bucht, löst ein Ticket ohne Rückfahrtschein, sadistische Folterknechte all inclusive. Der Schriftsteller Heinrich Mellage deckt den Skandal auf – und landet wegen übler Verleumdung vor Gericht.

Kloster Mariaberg Aachen, Skandal 1894
Kloster Mariaberg um 1885

Das Kloster als Gefängnis

1893 kehrte Vikar Rheindorf von einer Mission in Amerika gesundheitlich schwer angeschlagen nach Deutschland zurück. Er hatte sich Cholera und Malaria eingefangen, zudem klagte er über heftige Zahnschmerzen und ein »Nervenleiden«. Solche Art von Problemen regelte die Kirche gerne intern. Rheindorfs Vorgesetzter, der Kölner Erzbischof Dr. Krementz, schickte ihn zur Behandlung ins Alexianerkloster Mariaberg nach Aachen – entgegen Rheindorfs ausdrücklichem Wunsch.

Die Anstalt Mariaberg erinnerte Pfarrer Rheindorf dann weniger an ein Kloster denn an ein Gefängnis. Die Verpflegung? Der Fraß war das Allerletzte. Hygiene? Ein unbekanntes Fremdwort in Aachen. Behandlung? Gegen seine heftigen Zahnschmerzen verschrieb ihm der Anstaltsarzt Myrrhentinktur. Als das nichts half und Rheindorf nach einem besseren Mittel verlangte, zuckte der Arzt nur mit den Schultern. Zudem war Rheindorf strengstens untersagt, das Kloster zu verlassen. Der Bischof wünsche das nicht, beschied ihm der Mediziner.

Rheindorf wusste, er musste sich eine List ausdenken, um aus diesem Laden jemals wieder herauszukommen. Er schrieb einen Brief an den Kölner Erzbischof. Ihm war inzwischen bewusst, dass die Klosterleitung den kompletten Briefverkehr überwachte. Also lobte er ausdrücklich die Behandlung, die ihm das Kloster angedeihen ließ. Er fühle sich schon viel besser, wolle aber gerne noch länger bleiben, bis er ganz genesen sei. Er habe aber eine Bitte an den Erzbischof. Er habe eine dringende Rechtsangelegenheit zu regeln. Dazu müsse er allerdings das Kloster verlassen, jedoch nur für einen Tag. Ließe sich das einrichten? Der Bischof war augenscheinlich der Meinung, dass das bockige Schäfchen nun endlich parierte. Er genehmigte den Ausgang. Rheindorf nutzte seine Chance und tauchte bei einem Freund in Iserlohn unter.

Mundtot gemacht

Der Freund vermittelte Rheindorf den Kontakt zu einem Rechtsberater und Publizisten namens Heinrich Mellage. Mellage sollte sich darum kümmern, dass Rheindorf endlich in eine Anstalt seiner Wahl verlegt wurde und nie mehr in die Hölle von Kloster Mariaberg zurückkehren musste. Mellage war erfolgreich. Rheindorf kam in das Marienhospital in Ratingen, das er alsbald geheilt verlassen konnte. Er trat daraufhin eine Stelle als Geistlicher in Köln an.

Möglicherweise hatte der Kölner Erzbischof befürchtet, dass Mellage die Geschichte an die Presse weitergeben würde, wenn er im Streit mit seinem Angestellten nicht einlenken würde. Die Taktiererei war vergeblich. Denn Rheindorf plauderte alles aus, was er im Kloster Mariaberg beobachtet hatte. Insbesondere das Schicksal des schottischen Geistlichen Forbes hatte ihn tief berührt. Der arme Kerl sei seit 39 Monaten in dem fürchterlichen Kloster eingekerkert. Die Klosterbrüder behaupteten, Forbes sei geisteskrank. Doch der Mann sei in Wahrheit voll zurechnungsfähig. Der Beweis: Die Klosterbrüder ließen ihn täglich die Messen und Andachten abhalten.

Schuld daran, dass Forbes nun in Aachen gefangen gehalten werde, sei ein Streit mit einer schottischen Äbtissin, in deren Kloster Forbes als Pfarrer tätig gewesen sei. Die Oberin habe sich beim Erzbischof von Aberdeen beschwert, dass Forbes die Nonnen gegen sie aufgehetzt habe. Forbes Version lautete anders: Die Äbtissin habe ihm sexuelle Avancen gemacht, die er abgewiesen habe. Danach habe sie sich die Intrige ausgedacht, um ihn abzuservieren. Auf jeden Fall reichte der Arm der Oberin offensichtlich weiter als der des Kaplans Forbes. Der Bischof entschied sich, den lästigen Querulanten mundtot zu machen und im einschlägig bekannten Kloster Mariaberg sicher zu deponieren.

Rettung in letzter Sekunde

Rheindorf berichtete, die Klosterbrüder würden den Schotten permanent misshandeln und strikt von der Außenwelt abschirmen. Zudem habe niemand außer ihm, Rheindorf, Englisch verstanden und Forbes spreche kaum Deutsch. Der Mann sei seinen Peinigern vollkommen hilflos ausgeliefert. Forbes habe ihn angefleht, ihn aus Mariaberg zu befreien. Rheindorf machte sich große Sorgen. In spätestens einem halben Jahr sei Forbes ein toter Mann, wenn man nicht handele, so dramatisch seien die Zustände in dem Kloster.

Heinrich Mellage verlor keine Zeit und wandte sich an die Staatsanwaltschaft in Aachen. Diese verwies ihn an die örtliche Polizei. Mellage konnte den Polizeikommissar Lohe schließlich überzeugen, dass Forbes vermutlich widerrechtlich im Kloster festgehalten werde. Mellages Besuch in Polizeibegleitung überrumpelte die Brüder. Sie versuchten zwar wortreich, die Entlassung Forbes zu verhindern, aber ihnen gingen die Argumente aus.

Mellage setzte durch, dass Forbes vom zuständigen Polizeiarzt Dr. Kribben untersucht werden sollte, ob er denn überhaupt geisteskrank war. Die Untersuchung währte nur kurz. Dr. Kribben konnte keine Anzeichen einer akuten psychischen Störung erkennen und ordnete die unverzügliche Entlassung aus Mariaberg an. Mellage nahm darauf Forbes zu sich nach Iserlohn. Damit kam der Skandal erst ins Rollen.

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