Das Valentinstag-Massaker

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Hintergründe eines Massakers

Mieter des Gebäudes in der North Clark Street war offiziell das Umzugsunternehmen »S.M.C. Cartage«. In Wahrheit handelte es sich dabei um eine Scheinfirma von George Moran. Er nutzte das Gebäude als Lagerhaus für geschmuggelten Schnaps und als Werkstatt für seine Fahrzeugflotte. War hier also bloß ein illegales Geschäft aus dem Ruder gelaufen?

Bugs Moran entkommt

Die Polizei hatte von Anfang an Zweifel daran. Dazu passte nicht, dass die Täter so planvoll vorgegangen waren. Vor allen Dingen waren sie ohne jegliche Beute abgezogen. Die Ermittler mutmaßten stattdessen, dass George »Bugs« Moran das eigentliche Ziel des Anschlags gewesen war, der sich nur durch Zufall nicht unter den Opfern befand.

George „Bugs“ Moran

Denn George Moran sollte am Morgen des Valentinstags eigentlich ebenfalls am Tatort erscheinen. Doch er hatte sein Zimmer im »Parkway Hotel« mit Verspätung verlassen. Er begab sich gemeinsam mit Ted Newberry, einem seiner Schläger, auf den Weg.

Als die beiden sich der Rückseite des Gebäudes näherten, sahen sie einen Wagen vorfahren, aus dem unter anderem zwei Polizisten ausstiegen. Moran und Newberry machten auf dem Absatz kehrt und suchten in einer nahe gelegenen Kaffeebude Unterschlupf. Auf dem Weg dorthin trafen sie auf ein weiteres Bandenmitglied: Henry Gusenberg, der jüngere Bruder der beiden Mordopfer.

Henry Gusenberg (Mitte) wird verhört

Willie Marks, ebenfalls Mitglied der Gang, steuerte zur gleichen Zeit das Lagerhaus aus anderer Richtung an. Auch er bemerkte rechtzeitig die angeblichen Polizeibeamten. Er versteckte sich in einem Hauseingang und notierte sich das Kennzeichen des Wagens, bevor er sich verdrückte.

Wer profitiert?

Die Täter hatten vermutlich Albert Weinshenker mit George Moran verwechselt. Weinshenker hatte die gleiche Größe und eine ähnliche Statur wie der Gangsterboss. Außerdem waren die beiden an diesem Morgen fast identisch gekleidet. Sie trugen Mäntel und Hüte in den gleichen Farben.

Wenn auch noch Moran, Newberry, Marks und Henry Gusenberg dem Anschlag zum Opfer gefallen wären, wäre die Moran-Gang Geschichte gewesen. Deshalb fragten sich die Ermittlungsbeamten, wer hierfür ein Motiv haben könnte. Es gab nur eine Antwort auf diese Frage: Al Capone.

Erbitterte Todfeinde

Moran war der letzte verbliebene Rivale von Capone um die kriminelle Vorherrschaft in der Stadt, nachdem der Gangsterboss von der South Side in den Jahren zuvor seine Konkurrenten Dion O‘Banion und Hymie Weiss aus dem Weg geräumt hatte. Und »Bugs« Moran und Al Capone waren mehr als nur Gegenspieler. Sie waren erbitterte Todfeinde.

Al Capone 1930
Al Capone im Mai 1930

Moran hatte sich eine Hunderennbahn in einer Vorstadt von Chicago unter den Nagel gerissen, die eigentlich Capone gehörte. Moran hatte mehrere Kneipe übernommen, in denen zuvor Capone abkassiert hatte. Moran hatte behauptet, sie befänden sich auf seinem Territorium.

Die Opfer Frank und Peter Gusenberg hatten zudem Anfang des Jahres einen gescheiterten Mordanschlag auf Jack McGurn unternommen, Capones rechte Hand. Die North Side Gang war ebenso in die Ermordung von Pasqualino »Patsy« Lolordo und Antonio »die Geißel« Lombardo verstrickt. Beide gehörten dem Vorstand der Unione Siciliana an, einer von der Mafia unterwanderten Organisation. Sie waren Verbündete von Capone.

Und Moran hatte mindestens zwei Anschläge auf Capone höchstpersönlich in Auftrag gegeben. Vermutlich hatte es ihm Capone nun mit gleicher Münze zurückzahlen wollen.

Der Strohmann

Aber wie war es Capone gelungen, seinen Konkurrenten an den Tatort zu locken? Die gängige Theorie lautet, dass es einen Strohmann gab, der »Bugs« Moran ein lukratives Angebot unterbreitet hatte.

Vermutlich hatte der Strohman Moran eine Lieferung gestohlenen und dadurch billigen Whiskeys versprochen, der aus den Beständen der Purple Gang aus Detroit stammte. Moran war mit dieser Bande verfeindet, weil sie zum einen Verbündete von Capone waren. Zum anderen klaute er selbst regelmäßig ihren Schnaps.

Ungereimtheiten

Dennoch überzeugte diese Theorie nicht alle Ermittler und Historiker, die sich später mit dem Fall beschäftigten. Warum waren so viele hochrangige Bandenmitglieder zum Treffen erschienen? Das war völlig ungewöhnlich. Schließlich wurde nur eine Ladung Schnaps umgeladen.

Außerdem trugen alle Opfer feinste Anzüge. So sah zwar der Gangster-Chic jener Jahre aus. Doch für das Umladen einiger verstaubter Kisten war es wohl kaum die passende Kleidung. Außerdem existierten Hinweise, dass die Gusenberg-Brüder an diesem Tag mit zwei leeren Lkws nach Detroit aufbrechen sollten, um dort gestohlenen kanadischen Whiskey abzuholen.

Mit anderen Worten: Das vermeintliche Geschäft mit dem geklauten Alkohol war möglicherweise nicht der Grund, warum sich die Männer an diesem Morgen im Lagerhaus in der North Clark Street versammelten. Aber unter welchem Vorwand war es Al Capone dann gelungen, Moran an den Tatort zu locken?

Es sollte nicht die einzige offene Frage bleiben. Ebenso ein Rätsel ist bis heute, wer die Mörder des Valentinstag-Massakers waren. Darüber gibt es meist nur Spekulationen und Gerüchte – aber auch eine handfeste Spur.

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