Jeffrey Dahmer – Der Kannibale von Milwaukee

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Jeffrey Dahmer war ein Wunschkind und wuchs in behüteten Familienverhältnissen heran. Nichtsdestotrotz entwickelte sich der schüchterne und intelligente Junge zu einem Serienmörder, dessen Verbrechen die Welt schockierten. Er betäubte seine männlichen Opfer und bohrte ihnen Löcher ins Hirn, »um sich einen willenlosen Sex-Zombie zu erschaffen«, wie Dahmer es ausdrückte. Als das nicht funktionierte, tötete er sie, vergewaltigte ihre Leichen, zerstückelte sie und aß schließlich das Fleisch.

Biografie

Jeffrey Dahmer wurde am 21. Mai 1960 in West Allis (Wisconsin) als Sohn von Lionel und Joyce Dahmer geboren. Bis zu seinem sechsten Lebensjahr galt er als glückliches Kind, dem es an nichts mangelte. Dann wandelte sich sein Verhalten schlagartig. Die Ursache dafür lässt sich nicht eindeutig benennen. Es ist lediglich bekannt, dass sich parallel mehrere Veränderungen in Dahmers Leben vollzogen.

Die Familie Dahmer siedelte damals nach Bath in Ohio um, weil der Vater, ein Chemiker, dort eine neue Stelle gefunden hatte. Jeffrey Dahmer musste sich wegen eines Eingeweidebruchs einer Operation unterziehen. Das fiel zeitlich ungefähr mit der Geburt seines jüngeren Bruders David zusammen. Die Mutter fühlte sich nach der Geburt des zweiten Kindes häufig zu schwach, das Bett zu verlassen. Als Jeffrey Dahmer zehn Jahre alt war, wurde sie wegen chronischer Angstzustände in eine Klinik eingewiesen.

Dahmer zog sich mehr und mehr zurück. Ihm schien jegliches Selbstvertrauen abzugehen. Im Umgang mit Gleichaltrigen wirkte er verkrampft, was dazu führte, dass er während seiner Kindheit praktisch keine Freunde hatte. Das eigenbrötlerische Kind suchte sich andere Beschäftigungen. Er entwickelte ein gesteigertes Interesse an Tieren. Doch hatte dies nichts mit der Tierliebe anderer Kinder zu tun. Er streunte durch die Straßen und hielt nach überfahrenen Tierkadavern Ausschau. Hatte er welche gefunden, brachte er sie in sein Geheimversteck, das sich einem Waldstück hinter dem Haus seiner Eltern befand. Dort schnitt Jeffrey Dahmer die toten Tiere auf. Er war neugierig, was ihn im Innern erwartete.

Jeffrey Dahmer - Haus in Bath, Ohio
Elternhaus von Jeffrey Dahmer in Bath, Ohio

Dahmer sagte später aus, dass er mit 14 Jahren zum ersten Mal konkrete Fantasien gehabt habe, einen Menschen zu töten. Auch der Gedanke, den Toten zu vergewaltigen und zu missbrauchen, sei ihm damals bereits im Kopf herumgespukt. Im gleichen Alter machte er seine ersten Erfahrungen mit Alkohol. Dahmer kam auf den Geschmack. 1978, in seinem letzten Jahr an der Highschool, war er so häufig betrunken, dass er kurz vor dem Rauswurf aus der Schule stand.

Im selben Jahr ließen sich seine Eltern scheiden. Die Mutter kehrte nach Wisconsin zurück und nahm Dahmers jüngeren Bruder David mit, der Vater zog vorübergehend in ein Motel. Jeffrey Dahmer hatte im Sommer 1978 das elterliche Haus alleine für sich. Keine glückliche Entwicklung, wie sich herausstellen sollte.

Die Verbrechen

Steven Hicks

Im Juni 1978 nahm Jeffrey Dahmer den Anhalter Steven Hicks mit. Er habe sturmfreie Bude, sagte Dahmer. Sie könnten die Hausbar plündern. In Wahrheit fühlte sich Dahmer einsam, seitdem seine Eltern ihn alleine zurückgelassen hatten. Die beiden Männer betranken sich und hingen einige Stunden zusammen miteinander ab. Dann wollte Hicks gehen. Für ihn war der Spaß vorüber.

Jeffrey Dahmer sah das anders. Er sehnte sich nach jemandem in seinem Leben, der ganz alleine für ihn da war. Also schlug er Steven Hicks mit einer Hantel nieder und erdrosselte ihn. Hicks konnte ihn nicht mehr verlassen – Dahmers Interpretation einer befriedigenden Beziehung. Und dann tat Dahmer, wovon er bisher nur geträumt hatte. Er zerstückelte einen Menschen. Die Leichenteile verpackte er anschließend in Plastiktüten und versteckte sie zwei Wochen lang unter dem Haus. Danach zermalmte er die Knochen mit einem Vorschlaghammer und verstreute die Knochenstücke im Wald.

Militärzeit

Dahmers Alkoholkonsum war inzwischen völlig außer Kontrolle geraten. Sein Alkoholproblem kostete ihn auch das Studium. Er flog nach nur einem Semester von der Ohio State University. Sein Vater, der inzwischen wieder verheiratet war, drängte seinen Sohn dazu, sich zur Army zu melden. Jeffrey Dahmer wurde in San Antonio (Texas) zum Sanitäter ausgebildet. Danach schickte man ihn auf einen amerikanischen Stützpunkt nach Baumholder in die Westpfalz. Der Serienmörder Gary Heidnik hatte im Übrigen einen nahezu identischen Werdegang beim Militär – Sanitäterausbildung in San Antonio, Stationierung in der Pfalz.

Es gibt keine Hinweise darauf, dass sich Jeffrey Dahmer in Deutschland irgendetwas zuschulden kommen ließ. Die deutsche Kriminalpolizei hat zu einem späteren Zeitpunkt umfangreiche Ermittlungen angestellt – ohne Ergebnis. Die US Army entließ Dahmer nach zwei Jahren wegen seines fortgesetzten Alkoholmissbrauchs. Dahmer kehrte wieder nach Ohio zurück.

Erste Anzeigen

Im Oktober 1981 verhaftete die Polizei Jeffrey Dahmer wegen öffentlicher Ruhestörung und groben Unfugs. Er hatte in betrunkenem Zustand die Hosen heruntergelassen. Sein Vater verlor zunehmend die Geduld mit dem missratenen Sprössling. Er schickte Jeffrey Dahmer zur Großmutter nach Wisconsin. Dort fand er zwar Arbeit in einer Schokoladenfabrik in Milwaukee, aber das Alkoholproblem blieb bestehen. Im September 1986 kassierte Dahmer seine nächste Anzeige. Er hatte vor zwei minderjährigen Jungen masturbiert. Der Richter verurteilte ihn zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr.

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Steven Tuomi

Im September 1987, neun Jahre nach seinem ersten Mord, tötete Jeffrey Dahmer sein zweites Opfer. Dahmer lernte Steven Toumi in einer Schwulenbar kennen. Sie nahmen sich ein Hotelzimmer. Sie betranken sich heftig. Am anderen Morgen war Steven Tuomi tot.

Dahmer behauptete, er könne sich nicht darin erinnern, ihn ermordet zu haben. Er sei am anderen Morgen neben seiner Leiche aufgewacht. Er habe aber keine andere plausible Erklärung. Er müsse Tuomi im besoffenen Kopf umgebracht haben. Jeffrey Dahmer kaufte einen großen Koffer und schaffte darin die Leiche in den Keller seiner Großmutter. Dort vergewaltige er den Leichnam. Danach zerstückelte er die Leiche und warf die Überreste in den Müll.

Jeffrey Dahmer - Ambassador Hotel - Milwaukee
Ambassador Hotel in Milwaukee

Im Januar und März tötete er zwei weitere Männer im Haus seiner Großmutter. Oma Dahmer hatte keine Ahnung, was in ihrem Kellergeschoss wirklich vor sich ging. Aber sie war genervt von dem Lärm, den ihr Enkel und seine Freunde jede Nacht veranstalteten. Diese ständigen Saufgelage. Im Sommer 1988 hatte sie die Faxen dicke. Sie legte Jeffrey einen Auszug nahe.

Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs

Im September 1988 lebte Jeffrey Dahmer schließlich in seiner eigenen Wohnung. Er nutzte die neu gewonnene Freiheit auf seine Art. Er versprach dem 13-jährigen Somsack Sinthasomphone Geld für ein paar Nacktaufnahmen und lockte ihn damit in sein Apartment. Den Eltern des Jungen fiel auf, dass Somsack in den Tagen nach dieser Begegnung völlig verstört wirkte. Somsack erzählte ihnen, was ihm widerfahren war. Die Eltern zeigten Dahmer an. Der Fall landete vor Gericht.

Die Staatsanwaltschaft hatte keine Beweise dafür, dass Jeffrey Dahmer den Jungen vergewaltigt oder in irgendeiner Form körperlich misshandelt hatte. Die Anklage lautete deshalb lediglich auf sexuellen Missbrauch eines Minderjährigen. Dieser Vorwurf wog allerdings schwer genug. Jeffrey Dahmer drohte eine langjährige Gefängnisstrafe. Er bekannte sich vor Gericht schuldig, aber tat die Begegnung als Missverständnis ab. Ja, er habe mit dem Jungen sexuelle Handlungen vorgenommen. Doch er habe ihn wesentlich älter eingeschätzt. Dahmer wollte dem Richter einreden, dass er eigentlich nichts Strafbares im Sinn gehabt habe – lediglich einvernehmlicher Sex unter Erwachsenen.

Jeffrey Dahmer gab im Zeugenstand den reuevollen, zerknirschten Sünder. Er habe seinen schrecklichen Fehler inzwischen eingesehen. Die Verhaftung sei ein Wendepunkt in seinem Leben gewesen. Ein Schuss vor den Bug zur rechten Zeit. Er wolle sein Verhalten von Grund auf ändern, um nie mehr in solch eine Lage zu geraten. Dahmers Anwalt argumentierte, dass sein Klient eine Therapie benötige. Mit bloßem Wegsperren sei weder ihm noch der Gesellschaft gedient.

Der Richter ließ sich von der Show des eloquenten Angeklagten erweichen. Er verurteilte Jeffrey Dahmer zu fünf Jahren Haft, von denen er aber lediglich zehn Monate tatsächlich absitzen musste. Der Rest wurde zur Bewährung ausgesetzt. Und selbst für die Zeit der Inhaftierung gewährte man ihm noch Erleichterungen. Dahmer hatte den Richter gebeten, ihm nicht seinen Job in der Schokoladenfabrik zu nehmen. Dies sei die einzige Sache in seinem Leben, auf die er Stolz empfinde und die ihm Halt gebe. Also musste Dahmer nur die Nacht im Gefängnis verbringen und durfte tagsüber die Anstalt verlassen.

Im März 1989, noch während der Prozess verhandelt wurde, zeigte Jeffrey Dahmer sein wahres Gesicht. Er hatte vorübergehend wieder Unterschlupf bei seiner Großmutter gefunden. Dort tötete er Anthony Sears, der von einer Karriere als Model träumte. Als Dahmer ihn bat, ein paar Fotos von ihm schießen zu dürfen, war Sears sogleich Feuer und Flamme.

Während Dahmer seine zehn Monate Haft abbrummte, beging er keine weiteren Verbrechen. Ebenso wenig in den drei Monaten, die er nach seiner Entlassung wieder bei seiner Großmutter verbrachte. Doch dann zog Dahmer im Mai 1990 in die 924 North 25th Street, Apartment 213. Und die Mordserie eskalierte.

Modus Operandi

In den folgenden fünfzehn Monaten tötete Jeffrey Dahmer zwölf Menschen. Er hatte mittlerweile einen Modus Operandi entwickelt, dem er bei allen Taten treu blieb. Er sprach seine Opfer an bekannten Treffpunkten der Schwulenszene in Milwaukee an. Manche von ihnen lockte er mit der Aussicht auf schnelles Geld für ein paar Nacktfotos in seine Wohnung. Den anderen versprach er ein paar Hardcore-Pornos und ein gekühltes Sixpack, das in seinem Kühlschrank auf sie warte.

Hatte er sie erst einmal in seinem Apartment, versetzte Dahmer die Drinks mit einem Betäubungsmittel. Sobald die männlichen Begleiter wehrlos waren, erdrosselte er sie. Anschließend vergewaltigte er die Toten oder masturbierte auf ihren Leichnamen. Dann zerstückelte er die Leichen und öffnete den Torso. Er fertigte Polaroids von den verschiedenen Stufen der Verstümmelung.

Gewöhnlich bewahrte er die Genitalien und Schädel der Opfer als Andenken auf. Speziell die Köpfe übten eine starke sexuelle Anziehungskraft auf ihn aus. Er habe vor ihnen häufig masturbiert, gab er später im Verhör zu. Durch die Trophäen habe er sich an die Morde erinnert und die gleiche sexuelle Erregung, die er seinerzeit verspürt habe, erneut erleben können.

Bei seinen ersten Morden verzichtete Jeffrey Dahmer darauf, seine Opfer vor ihrem Tod zu quälen oder zu foltern. Die Grausamkeiten geschahen posthum. Als er sich zwischen Februar und Juli 1991 in einen Mordrausch hineinsteigerte, fiel auch dieses Tabu. Nachdem er die Männer in seiner Wohnung betäubt hatte, bohrte er ihnen Löcher in die Schädelplatte und träufelte ihn bei lebendigem Leib Salzsäure ins Hirn. Die meisten Opfer starben sofort infolge dieses »Eingriffs«. Dahmer gestand im Verhör jedoch ein, dass ein Mann noch mehrere Tage »überlebt« habe. Er habe allerdings nur noch »wie ein Zombie« vor sich hinvegetiert.

Mit der zunehmenden Zahl an Opfern veränderte Jeffrey Dahmer außerdem seine Methode, die Leichenteile zu beseitigen. Zu Beginn hatte er die Reste noch im Müll entsorgt. Später experimentierte er auch in diesem Fall mit Säure. Die sterblichen Überreste reduzierten sich im Säurebad zu einer schwarzen flüssigen Masse, die er in einen Gully schüttete oder den Klo hinunterspülte. Zudem vertilgte Jeffrey Dahmer das Fleisch und Blut seiner Opfer. Das Blut schmeckte ihm nach eigenem Bekunden nicht. Aber er legte sich in seiner Tiefkühltruhe einen Vorrat von Fleischstreifen an, die er sich regelmäßig als Mahlzeit zubereitete.

Wahl der Opfer

Man mag es kaum glauben, aber die Polizei von Milwaukee hatte keinen blassen Schimmer, dass in ihrer Stadt ein Serienmörder sein Unwesen trieb, bis sie Jeffrey Dahmer eher zufällig verhaftete. Das hatte allerdings auch mit der Vorgehensweise des Täters zu tun. Dahmer suchte sich bewusst Opfer aus, die am Rande der Gesellschaft lebten. Er sprach zwar keine Obdachlosen an, doch viele seiner Mordopfer hatten keinen festen Wohnsitz und kamen vorübergehend bei wechselnden Bekanntschaften unter.

Ein Großteil der Personen, die Jeffrey Dahmer tötete, waren selber kriminell und mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand ihr Verschwinden anzeigte, war also gering. Und selbst wenn jemand im Einzelfall Vermisstenanzeige stellte: Sofern die verschwundenen Personen volljährig waren – die meisten von Dahmers Opfer waren dies –, ging die Polizei diesen Fällen gewöhnlich nicht nach, wenn keine eindeutigen Hinweise existierten, dass die Menschen einem Verbrechen zum Opfer gefallen waren.

Nach seiner Verhaftung wurden Vorwürfe laut, dass Jeffrey Dahmer rassistisch veranlagt gewesen sei. Die Mehrzahl seiner Opfer waren Afroamerikaner. Die Ermittler vermuteten, Dahmers Opferwahl habe eher pragmatische Gründe gehabt. Er lebte in einem Stadtteil von Milwaukee, dessen Bevölkerung überwiegend schwarz war. Dort suchte sich Dahmer seine Opfer aus – in einer Gegend, mit der er bestens vertraut war.

Konerak Sinthasomphone

Zu den besonders tragischen Umständen des Falls Jeffrey Dahmer gehörte die Tatsache, dass die Mordserie früher hätte beendet werden können. Fünf Menschen wären am Leben geblieben, wenn zwei Polizeibeamte weniger auf Vorurteile vertraut, sondern genauer hingeschaut hätten. Man kann es auch anders formulieren: Jeffrey Dahmer war äußerst geschickt darin, sein Umfeld zu manipulieren. Das schloss Polizisten oder Richter mit ein, die ihren Mitmenschen von Berufs wegen misstrauischer begegneten.

Am 26. Mai 1991 verständigte die 18-jährige Sandra Smith den Notruf. Sie hatte am späten Abend einen nackten Jungen gesehen, der orientierungslos auf der Straße vor ihrem Haus herumlief. Im ersten Moment dachte sie, es handele sich um einen Betrunkenen. Dann bemerkte sie seinen panischen Blick. Auf Sandra Smith wirkte es so, als verspüre dieser Mensch Todesangst. Deshalb rief sie schließlich die Polizei.

Das Gespräch zwischen den Streifenbeamten und dem nackten Jungen verlief allerdings unergiebig. Der Junge lallte herum. Alles, was er sagte, blieb unverständlich. Inzwischen hatte sich auch Jeffrey Dahmer zu der Gruppe hinzugesellt und sich vorgestellt. Der groß gewachsene blonde Mann wirkte auf die Beamten ruhig und besonnen. Er entschuldigte sich wortreich für den Ärger. Der Junge sei sein 19-jähriger Geliebter, habe zu viel getrunken und sei einfach ausgeflippt. Sandra Smith und ihre Cousine waren ebenfalls anwesend. Sie beharrten darauf, dass der Junge völlig verängstigt gewirkt habe. Sie forderten die Polizisten auf, sich um den Jungen zu kümmern.

Wem sollten die Beamten glauben? Ein paar schwarzen Teenagern, die aufgeregt umherschnatterten? Einem nackten Betrunkenen, der unverständliche Worte stammelte? Oder diesem vernünftigen Weißen, der sich nicht aus der Ruhe bringen ließ und ausweisen konnte? Sie schenkten schließlich Dahmer Glauben und forderten Sandra Smith und ihre Cousine unmissverständlich auf, die Klappe zu halten.

Die Streifenbeamten begleiteten das vermeintliche Liebespaar noch bis zu Jeffrey Dahmers Wohnung in der 924 North 25th Street und schauten sich kurz um. Die Wohnung machte einen aufgeräumten und gepflegten Eindruck. Dann sahen die Polizisten zu, dass sie möglichst schnell aus dem Apartment herauskamen. Denn in die Streitigkeiten zweier schwuler Turteltäubchen wollten sie auf keinen Fall hineingezogen werden.

So entgingen den Beamten einige wesentliche Fakten, die ein gänzlich anderes Licht auf den Fall geworfen hätten. Der Nackte war in Wahrheit nicht 19, sondern erst 14 Jahre alt. Hätten die Beamten Jeffrey Dahmers Namen von der Zentrale überprüfen lassen – er hatte den Beamten seinen Führerschein gezeigt –, wäre herausgekommen, dass der so vernünftig wirkende Mann unter Bewährung stand und wegen sexuellen Missbrauchs eines Minderjährigen vorbestraft war. Und ferner hätten sie ermittelt, dass das Opfer dieses Übergriffs niemand anderes als der ältere Bruder von Konerak Sinthasomphone gewesen war, den die Polizisten nun schutzlos den Händen von Jeffrey Dahmer überließen.

Konerak war nicht betrunken, wie die Beamten fälschlicherweise angenommen hatten. Er hatte von Dahmer eine Überdosis Betäubungsmittel verabreicht bekommen. Zu allem Überdruss hätten die Beamten nur buchstäblich ihrer Nase statt ihrer Vorurteile vertrauen müssen. In Dahmers Schlafzimmer lag noch die verwesende Leiche von Tony Hughes, den er drei Tage zuvor getötet hatte. Es ist zumindest schwer nachzuvollziehen, dass den Beamten der penetrante Verwesungsgeruch entgangen sein soll. So war Konerak Sinthasomphones Schicksal besiegelt, sobald die Streifenbeamten das Apartment 213 verlassen hatten. Jeffrey Dahmer tötete den 14-Jährigen und unterwarf ihn seinen üblichen Ritualen.

Verhaftung von Jeffrey Dahmer

Am 22. Juli 1991 konnte Dahmer ein weiteres Opfer entkommen. Dieses Mal schauten die Polizisten glücklicherweise genauer hin als ihre Kollegen im Mai. Am Abend des 22. Juli fiel einer Streifenbesatzung der junge Schwarze Tracy Edwards auf. Er irrte durch die Straßen von Milwaukee. An seinem Arm baumelten Handschellen. Die Streifenbeamten nahmen zunächst an, der Mann sei einem Kollegen entlaufen.

Doch Edwards erzählte ihnen stattdessen eine wilde Geschichte über einen »durchgeknallten Typen«, der ihn irgendwas in den Drink gemixt und anschließend gefesselt habe. Da die Zentrale nichts von einem entflohenen Gefangenen wussten, beschlossen die Beamten, der Geschichte nachzugehen. Sie begleiteten Edwards zur Wohnung des »Durchgeknallten« in der 924 North 25th Street. Jeffrey Dahmer öffnete ihnen die Tür. Fast wäre es Dahmer auch an diesem Abend wieder gelungen, sich aus der Angelegenheit herauszureden.

Dahmer erzählte, dass die Handfesseln Sexspielzeug seien. Sein Freund habe plötzlich Panik bekommen und sei davongelaufen. Er bot an, den Schlüssel für die Handschellen aus seinem Schlafzimmer zu holen. Ihm sei das ja auch alles furchtbar peinlich. Tracy Edwards hatte im Unterschied zu Konerak Sinthasomphone das Glück, dass die Betäubungsmittel bei ihm nicht so stark wirkten. Er konnte sich noch halbwegs verständlich ausdrücken. So wies er in diesem Moment darauf hin, dass in Dahmers Schlafzimmer auch das Messer liege, mit dem dieser ihn zuvor bedroht habe.

Einer der Beamten hielt Dahmer zurück und wollte sich zunächst selbst ein Bild von der Lage machen. Da fielen ihm im Vorbeigehen einige Fotografien ins Auge, die offen herumlagen. Bilder von enthaupteten Leichen, deren Torso aufgeschlitzt war. Ein abgeschnittener Kopf in einem Kühlschrank. Der Polizeibeamte schrie seinem Kollegen zu, Dahmer festzunehmen. Dahmer schaltete sofort auf Angriff, die Polizisten konnten ihn aber schließlich überwältigten.

Dann sahen sich die Beamten das Apartment genauer an. Im Kühlschrank fanden sie einen Schädel – genau wie auf dem Foto. In der Tiefkühltruhe lagerten drei weitere Köpfe. Im Schlafzimmerschrank hatte Dahmer ein Dutzend Totenschädel versteckt, von denen Haut und Fleisch entfernt waren. Sie waren mit grauer Farbe angemalt. Außerdem standen dort Gläser herum, in denen männliche Genitalien eingelegt waren. Dazu unzählige weitere Fotos des Grauens. Die geschockten Beamten riefen die Mordkommission.

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Der Prozess

Die Behörden gingen davon aus, dass es rund um den Prozess zu Demonstrationen und möglichen Anschlägen kommen könne. Die Verhandlung begann am 13. Januar 1992 unter strikten Sicherheitsvorkehrungen. Man sperrte den Angeklagten im Gerichtssaal hinter eine kugelsichere Glasscheibe. Auch Dahmers Vater Lionel und Stiefmutter wohnten dem Prozess bei.

Jeffrey Dahmer hatte zuvor in den Verhören alle seine Taten gestanden. Vor Gericht bekannte er sich schuldig, behauptete allerdings, zum Zeitpunkt der Verbrechen unzurechnungsfähig gewesen zu sein. Er schilderte die Verbrechen in allen Details. Die Verteidigung hoffte, dadurch die Geschworenen davon zu überzeugen, dass nur ein Wahnsinniger zu solch grauenhaften Taten in der Lage gewesen war.

Aber die Geschworenen schenkten lieber dem Staatsanwalt Glauben. Dieser argumentierte, Dahmer sei stets bewusst gewesen, dass er gegen das Gesetz verstoße. Dies habe ihn schlichtweg nicht interessiert. Die Jury benötigte lediglich fünf Stunden, um sich auf einen Urteilsspruch zu einigen. Am 17. Februar 1993 sprachen die Geschworenen Jeffrey Dahmer in allen Anklagepunkten für schuldig und zurechnungsfähig. Er wurde in 15 Fällen zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.

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Jeffrey Dahmers Ermordung

Die Gefängnisleitung isolierte Dahmer zunächst von den anderen Gefangenen. Man war um seine Sicherheit besorgt. Nach einer Weile bat Dahmer die Behörden darum, sich mehr in den normalen Gefängnisalltag integrieren zu dürfen. Dem Gesuch wurde stattgegeben.

Am 28. November 1994 hielt sich Dahmer zusammen mit zwei anderen Häftlingen in der Sporthalle der Gefängnisanstalt auf. Die drei Männer waren zum Reinigungsdienst eingeteilt. Der eine der beiden Mitinsassen hieß Jesse Anderson und saß wegen Mordes ein. Er war ein Weißer und galt als Neonazi. Der Dritte im Bunde war der Schwarze Christopher Scarver, ebenfalls ein verurteilter Mörder. Er litt bekanntermaßen unter Wahnvorstellungen.

Die Wachen führten die drei Gefangenen in die Turnhalle und ließen sie dann zwanzig Minuten alleine. Als die Vollzugsbeamten zurückkehrten, lag Jeffrey Dahmer mit zertrümmertem Schädel auf dem gefliesten Boden. Christopher Scarver hatte beide Mithäftlinge mit einer Hantel umgebracht. Dahmer war durch die gleiche Waffe gestorben, die er selbst für seinen ersten Mord benutzt hatte. Jesse Anderson hatte sich gegen seinen Mörder gewehrt. Sein Leichnam wies die typischen Abwehrverletzungen auf. Doch bei Dahmer fanden sich interessanterweise keine dieser Spuren.

Jeffrey Dahmer - Christopher Scarver
Christopher Scarver

1996 ersteigerte die Stadt Milwaukee auf einer Auktion Dahmers Kühlschrank und die übrige Wohnungseinrichtung für die unglaubliche Summe von 400.000 US-Dollar. Die Gegenstände wurden im Anschluss an die Versteigerung sofort in einer Verbrennungsanlage vernichtet. Milwaukee wollte alles tun, um die unliebsame Erinnerung an den schlimmsten Bewohner der Stadtgeschichte zu tilgen. Auch die Oxford Apartments – der Mietshauskomplex, in dem Dahmer die meisten seiner Verbrechen beging – sind inzwischen abgerissen worden und einem Neubauprojekt gewichen.

Die Opfer

18.6. 1978: Steven Hicks (19)
20.11. 1987: Steven Tuomi (26)
16.1. 1988: James Doxtator (14)
24.3. 1988: Richard Guerrero (22)
26.9. 1988: Somsack Sinthasomphone (13, hat überlebt)
25.3. 1989: Anthony Sears (26)
14.6. 1990: Eddie Smith (36)
Juli 1990: Ricky Beeks (27)
2.9. 1990: Ernest Miller (22)
24.9. 1990: David Thomas (23)
18.2.1991: Curtis Straughter (19)
7.4.1991: Errol Lindsey (19)
24.5.1991: Tony Hughes (31)
27.5.1991: Konerak Sinthasomphone (14)
30.6.1991: Matt Turner (20)
5.7.1991: Jeremiah Weinberger (23)
12.7.1991: Oliver Lacy (23)
19.7.1991: Joseph Bradehoft (25)
21.7.1991: Tracy Edwards (hat überlebt)

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