(3) Die Ermittlungen

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Innerhalb von wenigen Minuten nach dem Anruf um 11.15 Uhr schickte Marshall Rufus B. Hilliard den Beamten George W. Allen zum Haus der Bordens. Der Polizist lief die vierhundert Meter bis zum Haus zu Fuß. Als er sah, dass Andrew Borden tot war, ernannte er den zufällig vorbeikommenden Passanten Charles Sawyer kurzerhand zum Hilfspolizisten. Er sollte den Tatort so lange bewachen, bis Allen Verstärkung angefordert hatte.

Der Polizist rannte zur Wache zurück. Wenige Minuten später kehrte er mit sieben Kollegen zurück. Um 11.45 Uhr traf zudem der zuständige Gerichtsmediziner William Dolan in der Second Street ein.

Den Beamten war von vorneherein klar, dass dieser Fall angesichts der Opfer zumindest in Fall River für großes Aufsehen sorgen würde. Andrew Jackson Borden zählte zu den bekanntesten Persönlichkeiten der Stadt.

Andrew Borden

Borden war in sehr bescheidenden Verhältnissen aufgewachsen. Als junger Mann steckte er ständig in finanziellen Schwierigkeiten. Die erfolgreiche Gründung einer Möbelfabrik verhalf ihm schließlich zu Wohlstand. Er konnte seinen Reichtum noch mehren, indem er sein Kapital in verschiedene Textilfabriken und Geschäfte investierte. Zum Zeitpunkt seines Todes saß er zudem im Aufsichtsrat zweier Banken seiner Heimatstadt, an denen er Anteile hielt. 1892 besaß Andrew Borden ein geschätztes Vermögen von 300.000 US-Dollar, was heute einer Kaufkraft von ungefähr 8 Millionen Dollar entsprechen würde.

Trotz seines Wohlstandes pflegte Borden einen bescheidenen Lebensstil. Das Haus in der Second Street befand sich nicht in einem der Stadtviertel, in denen die gehobene Schicht von Fall River lebte. Borden schätzte die kurzen Wege zu seinen Firmen. Zudem galt der Mann als äußerst sparsam, um nicht zu sagen geizig. In der Gemeinde wurde er zwar wegen seiner Geschäftstüchtigkeit respektiert, sonderlicher Beliebtheit erfreute er sich jedoch nicht.

Lizzie Borden - Andrew Borden
Andrew Borden

Abby Borden

Abby Gray Borden hatte er drei Jahre nach dem Tod seiner ersten Frau Sarah Morse Borden geheiratet, die 1863 verstorben war. Abby war eine kleine Frau von 64 Jahren mit fülliger Figur. Vor ihrer Ehe mit Andrew Borden war die schüchterne Frau ledig geblieben, bis sie mit 36 Jahren heiratete.

Lizzie Borden - Abby Borden
Abby Borden

Das Verhältnis zu ihren Stieftöchtern war eher distanziert. Lizzie hatte sie beispielsweise in den zurückliegenden Jahren stets mit „Mrs. Borden“ statt mit „Mutter“ angesprochen. Laut dem Dienstmädchen Bridget hatten beide Töchter selten gemeinsam mit ihren Eltern die Mahlzeiten eingenommen. Es gab Aussagen über Lizzie Borden, dass sie ihrer Stiefmutter unterstellte, sie habe es nur auf das Geld ihres Vaters abgesehen. Die einzigen engeren Kontaktpersonen von Abby waren ihre Schwester Sarah Whitehead und deren Tochter Abby, die nach der Tante benannt war.

Lizzie Borden - Sarah Borden
Sarah Morse Borden und ihre Tochter Emma

Ein Giftanschlag?

In den Tagen vor dem Mord hatten sich seltsame Dinge in dem Haus der Bordens zugetragen. Alle Mitglieder des Haushalts – die später ermordeten Eltern, die Töchter und das Dienstmädchen Bridget – hatten über Übelkeit und Erbrechen geklagt und sich krank gefühlt.

Am Mittwoch, dem 3. August, suchte Abby Borden deshalb um 7.00 Uhr vormittags den Hausarzt Dr. Bowen auf. Sie äußerte ihm gegenüber die Befürchtung, die Familie sei vergiftet worden. Dr. Bowen untersuchte seine Nachbarin, kam jedoch zu dem Schluss, dass die Übelkeit und das Erbrechen keine ernsteren Ursachen hatte. Er schickte Abby Borden wieder nach Hause.

Lizzie Borden - Dr Seabury Bowen
Dr. Seabury Bowen

Später suchte er auch noch Andrew Borden zu Hause auf, um sich nach seinem Zustand zu erkundigen. Der gab ihm unmissverständlich zu verstehen, dass er nicht krank sei und deshalb auch nicht für den unaufgeforderten Hausbesuch des Arztes zahlen würde.

Bei der Obduktion wurde auch der Mageninhalt der beiden Toten sowie die Milch aus dem Haushalt gesondert überprüft. Es fanden sich keine Hinweise auf Giftrückstände. Ein Bekannter der Familie äußerte den Verdacht, dass die Übelkeit durch verdorbenes Hammelfleisch hervorgerufen worden sei. Auf dem Herd stand ein Topf mit Fleisch herum, das offenbar über mehrere Tage hinweg für die Mahlzeiten benutzt wurde.

Blausäure

Angesichts dieser Ereignisse unmittelbar vor den Morden wurden die Ermittler sofort hellhörig, als sich bei ihnen ein Verkäufer aus dem Smith Drug Store meldete. Er berichtete, dass Lizzie Borden bei ihm am Morgen des 3. August, also einen Tag vor der Gewalttat, Blausäure im Wert von 10 Cent habe erwerben wollen. Sie habe ihm gegenüber erklärt, sie brauche das Gift, um einen Mantel aus Seehundfell von Insektenbefall zu befreien. Der Angestellte Bence hatte sich jedoch geweigert, ihr das verschreibungspflichtige Mittel zu verkaufen.

Ein Kollege von Bence sowie ein Kunde des Geschäfts sagten aus, dass sie Lizzie Borden zwischen 10.00 und 11.30 Uhr in dem Laden gesehen hätten. Die junge Frau hingegen stritt den Vorfall ab. Dabei machte sie jedoch voneinander abweichende Aussagen. Zunächst gab sie zu, an diesem Morgen außer Haus gewesen zu sein, leugnete aber, den Smith Drug Store aufgesucht zu haben. Später wandelte sie ihre Aussage dahin gehend ab, dass sie bis zum Abend des 3. August nicht ihr Elternhaus verlassen habe.

Die Episode hatte dennoch nur bedingt Relevanz. Zum einen klagte ja Abby Borden bereits Stunden zuvor bei Dr. Bowen über Vergiftungserscheinungen. Zum anderen dürfte es ihr schwergefallen sein, andernorts unbemerkt Blausäure oder andere Gifte zu besorgen. Dazu war der Fall viel zu sehr bekannt. Es ist anzunehmen, dass sich Zeugen umgehend bei der Polizei gemeldet hätten.

Um Lizzie Borden einen Strick aus dieser Geschichte zu drehen, müsste man wie folgt argumentieren: Sie hat Tage vorher mit einer anderen Substanz versucht, die Familie zu vergiften. Weil dies nur zu Übelkeit führte, wollte sie ein zuverlässigeres Gift besorgen. Als dieser Plan schief ging, griff sie am darauffolgenden Tag zur Axt.

Der Onkel

Am frühen Nachmittag des 3. August traf John Vinnicum Morse im Haus der Bordens ein. Er war ein Bruder von Lizzies und Emmas leiblicher Mutter Sarah Morse Borden. Der Onkel reiste ohne Gepäck an, wollte aber bei den Bordens übernachten, um am nächsten Tag andere Verwandte in der Stadt zu besuchen. Sowohl er als auch seine Nichte Lizzie Borden sagten aus, dass sie sich erst nach den Morden am folgenden Tag gesehen hätten, obwohl Lizzie von seiner Anwesenheit im Haus wusste.

Lizzie Borden - John Morse
John Morse

Einige Buchautoren haben spekuliert, dass es am Abend vor den Morden zu einem heftigen Streit zwischen John Morse und Andrew Borden kam. Der Anlass seien die Übertragungen von Immobilien- und Grundstücksrechten gewesen, die Andrew Borden zugunsten seiner jetzigen Frau vornehmen wollte.

Wie gesagt: Es handelt sich um Spekulationen. Die einzige Bestätigung dafür, dass zumindest eine lautstärkere Auseinandersetzung an diesem Abend stattgefunden hatte, stammte aus der Vernehmung von Lizzie Borden vor dem Haftrichter. Dort berichtete sie, sie sei am Abend des 3. August gegen 21.00 Uhr nach Hause zurückgekehrt. Bei dieser Gelegenheit habe sie gehört, wie ihre Eltern und ihr Onkel John sich im Wohnzimmer laut miteinander unterhalten hätten. Sie sei jedoch sofort in ihr Schlafzimmer gegangen, ohne ihren Onkel zu begrüßen.

Die gute Freundin

Lizzie Borden hatte unmittelbar zuvor ihre Freundin Alice Russell besucht. Auch dieses Gespräch barg aus polizeilicher Sicht interessante Erkenntnisse. Denn Russell sagte aus, Lizzie Borden habe an diesem Abend äußerst aufgewühlt gewirkt. Lizzie habe angekündigt, bald verreisen zu wollen. Sie fühle sich, als würde sie etwas schwer belasten, ohne die eigentliche Ursache benennen zu können.

Lizzie Borden - Alice Russell
Alice Russell

Dann sei sie laut Russell auf die schweren Magenverstimmungen ihrer Eltern zu sprechen gekommen, die sie auf verschimmeltes Brot zurückgeführt habe. „Ich fürchte, dass bald etwas passieren wird“, habe sie wörtlich gesagt. Sie könne nachts nicht mehr ruhig schlafen, weil sie Angst habe, jemand zünde das Haus an oder könne ihrem Vater wehtun. Er habe sich so unhöflich gegenüber anderen Menschen benommen.

 

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