(4) Rekonstruktion des Tattages

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Für Bridget Sullivan begann der 4. August um 6.15 Uhr mit den ersten Hausarbeiten. John Morse war zu diesem Zeitpunkt ebenfalls schon auf den Beinen. Abby Borden erschien um 7.00 Uhr im Erdgeschossbereich. Andrew folgte wenige Minuten später. Das Ehepaar frühstückte gemeinsam. Nach dem Frühstück begaben sich Andrew und sein Schwager John in das Wohnzimmer, wo sie sich etwa eine Stunde lang unterhielten. Um 8.45 Uhr verließ Morse das Haus, um seinen Verwandten den versprochenen Besuch abzustatten.

Hausarbeiten

Wenige Minuten später kam Lizzie ins Erdgeschoss. Ihre Stiefmutter gab Bridget den Auftrag, die Fenster des Hauses zu putzen. Sie selbst begab sich zu diesem Zeitpunkt ins erste Obergeschoss, um das Bett im Gästezimmer neu zu beziehen, obwohl dies normalerweise zu den Aufgaben von Lizzie und Emma gehörte.

Punkt 9.00 Uhr verließ Andrew Borden das Haus, um seine tägliche Runde in der Stadt zu drehen. Zunächst suchte er die Banken auf, bei denen er Teilhaber war. Anschließend ging er zu einem Ladenlokal, dessen Eigentümer er war. Dort fanden gerade Umbauarbeiten statt, die er begutachten wollte. Laut der anwesenden Handwerker verließ er das Geschäft um 10.40 Uhr, um nach Hause zurückzukehren.

Keine Spur einer Nachricht

Aufgrund der Körpertemperatur des Leichnams gingen die Ermittler davon aus, dass Abby Borden ihrem Mörder vermutlich um 9.30 Uhr zum Opfer gefallen war, auf jeden Fall zwischen 9.00 und spätestens 10.00 Uhr. Deshalb war es ausgeschlossen, dass sie zwischenzeitlich noch das Haus verlassen hatte, um eine kranke Freundin zu besuchen, wie Lizzie behauptet hatte. Die Polizisten fanden trotz intensiver Suche auch kein Benachrichtigungsschreiben, von dem die Tochter gesprochen hatte. Lizzie vermutete, ihre Mutter habe die Notiz möglicherweise verbrannt.

Verschlossene Türen

Als Andrew Borden gegen 10.45 Uhr zurückkehrte, putzte Bridget nach wie vor die Fenster. Die Haustür war von innen verriegelt, sodass sich Andrew nicht mit seinem Schlüssel hereinlassen konnte. Er klopfte. Bridget erschien und öffnete ihm. Wer die Tür in der Zwischenzeit von innen verriegelt hatte, konnte nie geklärt werden.

Ein Lacher

Das Dienstmädchen sagte aus, just in diesem Augenblick habe sie das Lachen von Lizzie Borden vernommen. Sie konnte die Tochter nicht sehen. Doch sie nahm an, dass das Gelächter vom oberen Treppenabsatz im Eingangsflur gekommen sei. Das Problematische an dieser Aussage: Von dieser Stelle hätte Lizzie die mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits ermordete Stiefmutter im Vorübergehen sehen können.

Pantoffelheldin

Lizzie bestritt jedoch, sich zu diesem Zeitpunkt im Obergeschoss aufgehalten zu haben. Sie sagte gegenüber der Polizei aus, sie sei beim Eintreffen des Vaters in der Küche gewesen. Dort habe sie einige Taschentücher gebügelt. Ihr Vater sei erschienen und habe sie gefragt, wo Abby sei. Sie habe ihm von dem Boten mit der Nachricht von einer kranken Freundin erzählt. Sie habe dann ihrem Vater die Stiefel ausgezogen und ihm in seine Pantoffeln geholfen, bevor er es sich auf dem Sofa zu einem Nickerchen bequem gemacht habe.

Lizzie Borden
Lizzie Borden

Als nächstes habe sie Bridget von einem Ausverkauf in einem Kaufhaus erzählt und ihr erlaubt, hinzugehen. Doch das Hausmädchen habe sich nicht wohlgefühlt und lieber kurz hinlegen wollen. Um 10.55 Uhr hatte Bridget ihre Putzsachen zusammengeräumt und suchte ihre Kammer im Dachgeschoss auf.

Wo war Lizzie Borden?

Darüber, wo sich Lizzie Borden in den nächsten fünfzehn Minuten aufhielt, gibt es widersprüchliche Aussagen. Lizzie behauptete gegenüber der Polizei, sie sei in die Scheune gegangen. Dort habe sie nach Metallstücken Ausschau gehalten, mit denen sie eine Angelrute beschweren konnte. Sie habe vorgehabt, ihre Schwester Emma in Fairhaven zu besuchen, um mit ihr dort fischen zu gehen.

Als sie um 11.10 Uhr ins Haus zurückgekehrt sei, haben sie ihren Vater tot vorgefunden. Doch zwei Zeugen – Simon Robinski und Charles Garnder – sagten aus, sie hätten Lizzie bereits um 11.03 Uhr die Scheune verlassen sehen. Zudem hatte die Polizei natürlich auch die Scheune in Augenschein genommen. Zum einen war es in dem Gebäude brütend heiß. Zum anderen war der Boden mit einer dicken Staubschicht bedeckt. Fußspuren waren darin keine zu erkennen. Sie zweifelten deshalb Lizzies Aussage stark an, in dem Schuppen ausgiebig nach Gegenständen gesucht zu haben.

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Bei Pinterest haben Nutzer mehrere Skizzen von Haus und Grundstück hochgeladen.

Das Originalhaus existiert im Übrigen nach wie vor, auch wenn die Hausnummer inzwischen Nr. 230 lautet. Die heutigen Besitzer betreiben darin eine Pension mit kleinem Museumsteil.

 

Widersprüchliche Angaben erregen Verdacht

Mit ihren widersprüchlichen und teilweise seltsamen Aussagen erweckte Lizzie Borden automatisch das Misstrauen der ermittelnden Beamten. Zum Beispiel äußerte sie bei ihrer ersten Aussage, sie habe ein Stöhnen, ein schabendes Geräusch oder einen Angstschrei aus dem Innern des Hauses vernommen, bevor sie hineingegangen sei. Aber zwei Stunden später behauptete sie, sie habe gar nichts gehört und auch anderweitig nichts Ungewöhnliches beim Betreten des Hauses wahrgenommen.

Die meisten Beamten, die sich an diesem Tag mit Lizzie Borden unterhielten, fanden ihr Verhalten unangebracht. Sie habe sich zu ruhig und gelassen benommen. Doch trotz ihrer widersprüchlichen Angaben und ihres „unangebrachten“ Verhaltens kam keiner der Polizisten am Tattag auf die Idee, sie auf Blutflecken zu untersuchen. Zwar durchsuchten die Beamten ihr Zimmer. Aber die Überprüfung war bestenfalls oberflächlich. Vor Gericht sagten die Polizisten aus, sie hätten auf eine gründliche Durchsuchung verzichtet, weil Lizzie sich nicht wohl gefühlt habe. Dieser Mangel an Sorgfalt führte im Nachhinein zu viel Kritik an der Polizeiarbeit in diesem Fall.

Lizzie Borden
Lizzie Borden

Vier Äxte und keine Mordwaffe

Auch bei der Suche nach der Mordwaffe taten sich die Ermittler schwer. Sie hatten Lizzie Borden gefragt, ob sich im Haus irgendwelche Äxte oder Beile befinden würden. Sie bejahte die Frage und führte die Männer in den Keller. Dort zeigte sie ihnen vier Äxte.

Die Beamten glaubten, einen Volltreffer gelandet zu haben. Der Klinge eines Beils hafteten noch getrocknetes Blut und Haare an. Spätere Untersuchungen ergaben jedoch zweifelsfrei, dass es sich dabei um Rinderblut und -haare handelte.

Von den anderen drei Werkzeugen war ein Axtkopf staubig, einer rostig und einer mit Asche verschmiert. Bei letzterem Beil war zudem der Stiel direkt unter dem Kopfauge abgebrochen. Die Bruchstelle schien noch frisch zu sein. Von dem Griff fehlte jede Spur. War dies die Mordwaffe? Das mutmaßten zumindest die Ermittler. Doch letzten Endes ließen sich auf dem Klingenblatt keine Blutspuren sicherstellen.

Lizzie Borden - Axt
Die Mordwaffe?

Obduktion im Esszimmer

Um 15.00 Uhr ließ der Gerichtsmediziner Dr. Dolan die Leichen der Mordopfer in das Esszimmer bringen und dort auf dem Esstisch aufbahren. Er nahm die Obduktion gleich vor Ort vor. Er entfernte die Mägen und ließ sie von einem Boten zu Dr. Wood nach Harvard bringen.

Am Mittag traf der Onkel John Morse am Tatort ein, um 19.00 Uhr die Schwester Emma aus Fairhaven. Beide wurden sogleich von der Polizei vernommen, konnten aber wenig Nützliches zu den Ermittlungen beitragen.

Schließlich verließ die Polizei das Haus und brachte eine weiträumige Absperrung an. Es hatten sich im Laufe des Tages viele Schaulustige um das Gebäude versammelt. Bridget Sullivan verbrachte die Nacht bei Nachbarn. Alice Russell übernachtete im Schlafzimmer des Ehepaars Borden. Emma und Lizzie zogen sich in ihre eigenen Räume zurück. John Morse schlief im Gästezimmer – allerdings nicht in jenem, in dem Abby Borden umgebracht wurde. Dies behaupten zwar einige Quellen, doch im Dachgeschoss gab es wohl noch ein weiteres freies Zimmer.

Seltsame Beobachtung

Mehrere Polizeibeamte sorgten in der Nacht dafür, dass sich kein Neugieriger heimlich auf das Grundstück schlich. Einer der Polizisten machte eine seltsame Beobachtung. Er sah, wie Lizzie Borden den Keller aufsuchte. Dort beugte sie sich über einen Haufen mit Kleidern. Es war die blutige Bekleidung, die man ihren Eltern vor der Obduktion ausgezogen hatte. Was Lizzie suchte, konnte niemals aufgeklärt werden.

 

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