Arlis Perry – Mord in Stanford

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Die Elite-Uni Stanford im kalifornischen Silicon Valley ist wohl einer der letzten Plätze auf Erden, an dem man schwarze Messen, Menschenopfer und rätselhafte Morde erwarten würde. Der Mordfall Arlis Perry weist aber all diese Merkmale auf und beschäftigt seit vierzig Jahren die Gemüter, weil er nach wie vor ungeklärt ist. (Das war der Stand der Dinge, als ich den Artikel 2014 verfasste. Inzwischen gilt der Mordfall als geklärt, siehe Kapitel 8.)

Am 12. Oktober 1974 fand man inmitten der Memorial Church, der zentralen Campuskirche, die Leiche der 19-jährigen Ehefrau eines Stanford-Studenten. Der Leichnam der vergewaltigten Frau lag nur wenige Schritte vom Altar entfernt. Der oder die Täter hatten einige Mühe darauf verwendet, die Tote sehr auffällig in Szene zu setzen. Bis heute ist unklar, wann und wie der Mörder in die Kirche hinein- und wieder hinauskam. Der Fall Arlis Perry ist die Art von Geschichte, die eine Agatha Christie oder ein John Dickson Carr zu einem ihrer berühmten locked room mystery hätten verarbeiten können.

Arlis Perry – 1974 frisch vermählt

Die Stanford University wurde nahe der Stadt Palo Alto gebaut, etwa 60 Kilometer südöstlich von San Francisco entfernt. Auf dem 3.300 Hektar großen Universitätsgelände leben heute rund 15.000 Studenten und auch ein Teil der knapp 2.000 Dozenten. Zu den zahlreichen Wohnheimen, die diese Masse an Menschen beherbergen, gesellt sich eine Vielzahl an Funktions- und Hörsaalgebäuden. Kurzum: Stanford hat die Dimension einer mittelgroßen Kleinstadt.

Auch Arlis Perry und Bruce Perry wohnten im Oktober 1974 hier. Sie hatten eine kleine Wohnung in dem Wohnheim Quillen Hall bezogen, welches speziell für verheiratete Studenten gedacht war. Das junge Paar hatte erst zwei Monate zuvor geheiratet, am 17. August 1974. Beide stammten aus Bismarck im Bundesstaat North Dakota und kannten sich bereits seit Schulzeiten.

Arlis Perry und Bruce Perry

Bruce Perry gehörte zu den besten Highschool-Absolventen seines Jahrgangs in Bismarck. Darüber hinaus war er ein erstklassiger Sportler. Im letzten Highschool-Jahr hatte er den Landesrekord auf der 400-Meter-Strecke aufgestellt. Sowohl die schulischen als auch die sportlichen Leistungen ermöglichten Bruce Perry die Aufnahme an der Eliteuni Stanford, an der er sich 1973 für ein Medizinstudium einschrieb. Er wollte in die Fußstapfen seines Vaters Dr. Duncan Perry treten, eines angesehenen und wohlhabenden Zahnarztes in Bismarck.

Vor ihrer Heirat hatte Arlis Perry, geborene Dykema, als Sprechstundenhilfe ihres zukünftigen Schwiegervaters gearbeitet. Natürlich hätte sie auch schon zu diesem Zeitpunkt ihren Freund Bruce nach Kalifornien begleiten können. Man schrieb schließlich die 1970er und die Sitten waren deutlich lockerer. Aber eben nicht überall. Für die zutiefst religiösen Perrys wäre solch ein Zusammenleben ohne Trauschein eine Sünde gewesen und damit völlig undenkbar. Man tritt Bruce und Arlis Perry nicht zu nahe, wenn man behauptet, dass ihre Lebensentwürfe sich deutlich von denen ihrer Kommilitonen und vom damals vorherrschenden Zeitgeist unterschieden.

Die beiden waren erst 19 Jahre alt, mieden aber jede Party oder Studentenkneipe. Irgendwelche wilden Drogenexperimente waren ihnen völlig fremd. Bruce Perry saß tagein, tagaus über seinen Lehrbüchern und büffelte für die Prüfungen. Seine Frau Alice hatte eine Stelle als Empfangsdame in der Rechtsanwaltskanzlei Spaeth, Blase, Valentine & Klein im nahe gelegenen Palo Alto gefunden. Während ihrer Freizeit unternahm sie ausgedehnte Spaziergänge über das Campusgelände und besuchte häufig die Memorial Church, in der sie und ihr Mann Bruce regelmäßig zum Gebet einkehrten.

Unermüdliche Missionarin

Arlis Perry hatte schulterlanges, blondes Haar und trug meistens eine Brille. Die zierliche, fast schon zerbrechliche wirkende junge Frau war wissbegierig, voller Tatendrang und lächelte für ihr Leben gerne. Alles Eigenschaften, die sie vielen Menschen auf Anhieb sympathisch machten. Doch es gab auch einen Wesenszug an ihr, mit dem sie ihren Mitmenschen gehörig auf den Wecker gehen konnte. Arlis Perry war durch und durch von Gottes Wort durchdrungen. Und sie wurde nicht müde, seine frohe Botschaft bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu verkünden. Ihren Gesprächspartnern vermittelte sie mitunter das Gefühl, sie würden reichlich blind und dumm durch die Welt laufen, wenn sie nicht Gottes Allgegenwart anerkannten und ein Loblied auf ihn sangen.

Arlis Perry - Portrait
Arlis Perry

Wie ihr Mann gehörte Arlis Perry dem Bund christlicher Athleten an. Außerdem war sie bereits in Bismarck einer Vereinigung evangelischer Studenten beigetreten, dem »Young Life«. Deren Mitglieder unterrichteten an der Sonntagsschule, studierten gemeinsam die Bibel und verbreiteten die Botschaft des Neuen Testaments. Arlis Perry machte keine halben Sachen, wenn es um ihren Glauben ging. So war sie als Vertreterin von »Young Life« auch in die Drogenszene von North Dakota abgetaucht, um dort verlorene Seelen zu missionieren. Es gibt eine Theorie hinsichtlich des Mordmotivs, die besagt, dass sich Arlis Perry genau bei dieser Gelegenheit Feinde fürs Leben machte.

Arlis Perry in Stanford

Ob sich Arlis Perry in Stanford wohlfühlte, lässt sich schwer beantworten. Man muss das so klipp und klar sagen: Für jemanden aus Bismarck, North Dakota, war Kalifornien nicht einfach nur furchtbar weit weg von zu Hause. Für jemanden aus North Dakota war Kalifornien ein fremdes Land mit fragwürdigen Sitten, jeder Menge nackter Haut und einer unfassbaren Einstellung zu Sex und Drogen. Kalifornien war recht nahe an der Hölle gebaut.

Andererseits gab ihr die Ehe Halt, auch in schwierigen Situationen. Ihr Mann Bruce war der absolute Fixpunkt in ihrem Leben. Sie sah es als ihren Lebenszweck an, ihn in jeder Lebenslage zu unterstützen und ihm den Rücken freizuhalten. Ein bisschen Heimweh konnte diese Einstellung bestimmt nicht ins Wanken bringen.

Allein in der Fremde

Aber aus den Briefen, die Arlis Perry an ihre Familie schrieb, ging hervor, wie schwer es ihr fiel, sich in der fremden Umgebung zurechtzufinden. So klagte sie zum Beispiel: »Freunde sind hier sehr schwer zu finden. Mehr als einmal war ich der Versuchung nahe, einfach an die nächstbeste Tür zu klopfen, um überhaupt mal jemanden kennenzulernen. Es muss doch Leute da draußen geben, die eine gute Freundin benötigen könnten. Aber dann sage ich mir: Bruce und ich müssen schätzen lernen, dass wir einander haben. Ich vertraue Gott, dass wir durch ihn neue Freunde finden werden.«

Auch die Unterschiede zwischen der Lebensweise im beschaulichen North Dakota und nun in Kalifornien waren häufiger Thema ihrer Briefe. »Die Menschen hier sind sehr unpersönlich. Die sagen noch nicht mal ‚Hallo!‘, wenn man zusammen im Aufzug fährt.« Ob dieser Frust und die Sehnsucht nach Kontakt Arlis Perry vielleicht dazu verleitete, sich allzu vertrauensselig auf Fremde einzulassen, die nichts Gutes im Schilde führten, konnte nie geklärt werden. Aber es gibt eine Spur in den späteren Ermittlungen, die es zumindest denkbar erscheinen lassen.

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