Aber wer war dieser Charlie Manson überhaupt, bei dem scheinbar alle Fäden dieser Mordfälle zusammenliefen? Die Beamten durchleuchteten die Vergangenheit des 36-Jährigen. Sie entdeckten die Bilderbuchkarriere eines Kriminellen. Der Mann hatte die meiste Zeit seines Lebens in Erziehungsheimen oder Gefängnissen verbracht.
Ein unerwünschtes Kind
Geboren wurde Charles Manson am 12. November 1934 in Cincinnati, Ohio. Man konnte nicht behaupten, dass er ein Wunschkind war. Seine Mutter Kathleen Maddox war bei der Geburt 16 Jahre alt, unterhielt ständig wechselnde Beziehungen und hing zu allem Überdruss an der Flasche. In den ersten Wochen hatte der Junge noch nicht einmal einen Namen. Er hieß einfach nur »No Name Maddox«.
Kathleen Maddox war eine Frau, die Ärger magisch anzog. Wer der leibliche Vater des Kindes war, blieb ein Rätsel. Es ist lediglich bekannt, dass Kathleen Maddox zwei Jahre nach der Geburt von Charles einen gewissen Colonel Walker Scott aus Ashland in Kentucky wegen Alimenten verklagte. Kathleen Maddox stammte ursprünglich ebenfalls aus Ashland und war während der Schwangerschaft nach Cincinnati geflüchtet.
Das Rätsel um den leiblichen Vater
Einige Notizen aus einer Akte, die das Jugendamt über Manson führte, enthielten Hinweise darauf, dass Colonel Scott möglicherweise schwarzer Abstammung war. In der Akte heißt es: »Vater unbekannt. Es wird angenommen, dass es sich um einen afroamerikanischen Koch namens Scott gehandelt hat, mit dem die Mutter von Charles intimen Kontakt zum Zeitpunkt der Schwangerschaft unterhielt.«
Als Staatsanwalt Vincent Bugliosi Manson beim Verhör auf diese Aktennotiz ansprach, bestritt der Angeklagte vehement, dass sein Vater ein Schwarzer gewesen sei. Er behauptete, Scott sei Tagelöhner beim Bau eines Staudamms gewesen, der damals in der Nähe des Wohnorts seiner Mutter entstanden sei. Manson muss diese Notiz vor allen Dingen deswegen peinlich gewesen sein, weil er in späteren Jahren bekennender Rassist war.
Das Gericht gab der Unterhaltsklage von Kathleen Maddox zwar statt, doch sie wartete vergeblich auf die Zahlung der Alimente. Sie war dann kurze Zeit mit einem William Manson verheiratet, dessen Familienname ihr Junge annahm und künftig beibehielt.
Eine Welt aus Verboten
Charles Manson hat in einem Interview beschrieben, unter welchen Umständen er aufwuchs: »Kathleen war das jüngste von drei Kindern. Ihre Eltern waren Nancy und Charles Maddox. Ihre Eltern liebten sie und meinten es gut mit ihr. Doch sie waren strenggläubige Christen. Das galt besonders für Oma, die zu Hause die Hosen anhatte. Was sie sagte, war Gesetz. Und wie sie die Bibel auslegte, ebenso. Sie duldete keinen Widerspruch.«
»Mein Großvater war bei der B&O Eisenbahngesellschaft beschäftigt. Er arbeitete hart und viel. Er war ein Sklave seiner Bosse, der sich für seine Firma bereitwillig aufopferte. Er war aber nicht so streng wie Oma. Wenn er meiner Mama seine Zuneigung zeigen wollte, indem er ihr das Knie tätschelte oder einen Arm um die Schulter legte, ging Oma sofort dazwischen. Sie hielt sein Verhalten für obszön.«
»Für Mama bestand das Leben aus einer nicht enden wollenden Zahl von Verboten. Von morgens bis abends hieß es immer nur: ‚Nein, Kathleen, das Kleid ist zu kurz. Flechte dir einen Zopf und kämm dich nicht wie irgendein dahergelaufenes Flittchen. Komm direkt von der Schule nach Hause. Und wehe, ich erwische dich mit einem Jungen. Nein, du kannst nicht zum Schulball gehen, wir müssen zum Gottesdienst.‘ 1933 riss meine Mutter von zu Hause aus. Da war sie 15.«
»Die Zeitungen haben viele Dinge über meine Mutter geschrieben. Unter anderem, dass sie eine Hure gewesen sei. Ja, sie suchte nach Anerkennung. Und ja, sie hat sich deshalb vielleicht zu oft und zu schnell mit jemandem eingelassen. Aber eine Hure? In diesen Zeiten damals? Nein. Später, als sie harte Zeiten durchlebt und einige schwere Schicksalsschläge zu verkraften hatte – kann sein, dass sie da ihren Körper gelegentlich für ein paar Dollar verkauft hat. Aber nicht, als sie jung war.«
Kindheit ohne jegliche Struktur
Charles Manson mangelte es nicht nur an einer Vaterfigur, sondern an jeglicher Struktur in seinem Leben. Seine Mutter verschwand häufiger für mehrere Tage oder gar Wochen von der Bildfläche und ließ ihr Kind einfach zurück. Mal steckte man ihn zu den Großeltern, mal zu den Tanten. Hin und wieder traten die Behörden auf den Plan und brachten ihn vorübergehend in einem Heim unter.
1939 verhaftete man Kathleen Maddox. Sie hatte zusammen mit ihrem Bruder eine Tankstelle in Charleston (West Virginia) ausgeraubt. Sie wurde zu fünf Jahren Haft verurteilt. Der vierjährige Charles Manson kam zu einer Tante nach McMechen in West Virginia. Sie war das Ebenbild seiner Großmutter – sehr streng und religiös – und damit das genaue Gegenteil seiner laxen Mutter.
Für eine Handvoll Bier
1942 wurde Kathleen Maddox auf Bewährung entlassen. Sie nahm ihren Sohn Charles wieder bei sich auf. Es folgte eine Odyssee durch eine Vielzahl heruntergekommener Absteigen, Alkoholexzesse und ständig wechselnde Liebhaber. 1947 versuchte die überforderte Mutter, ihr Kind loszuwerden. Sie fand jedoch keine Pflegeeltern. Am Ende landete Charles Manson in einem Kinderheim in Terre Haute, Indiana. Nach zehn Monaten floh er von dort zurück seiner Mutter. Doch Kathleen Maddox wollte sich nun nicht mehr um ihn kümmern.
Charles Manson erzählte später über diese Zeit: »Eines Nachmittags saß ich mit Mama in einer Kneipe. Die Kellnerin, die uns bediente, war ganz versessen auf Kinder. Im Scherz sagte sie zu meiner Mutter, dass sie mich ihr abkaufen würde. Mama erwiderte nur: ‚Ein Krug Bier und er gehört dir.‘ Die Bedienung brachte das Bier. Meine Mutter leerte das Glas in einem Zug und verließ wortlos das Lokal. Ich blieb zurück. Ein paar Tage danach suchte mein Onkel die ganze Stadt nach der Kellnerin ab, um mich zurückzuholen.«
Ob diese Geschichte sich jemals so zugetragen hat, vermag niemand zu sagen. Manson hat im Laufe der Zeit viele Interviews gegeben und häufig widersprüchliche Angaben gemacht. Etliche dieser Geschichte entpuppten sich später als Lügen. So viel ist zumindest unbestritten: Mansons Mutter war Alkoholikerin.
Odyssee durch die Erziehungsheime
Mit dreizehn Jahren beging Charles Manson regelmäßig Ladendiebstähle. Man ertappte ihn schließlich mit einem gestohlenen Fahrrad. Er landete wieder in einem Erziehungsheim, dieses Mal in Pater Flanagans »Boys Town«. Vier Tage nach seiner Ankunft verübte er mit einem anderen Jungen aus dem Heim zwei bewaffnete Raubüberfälle. Dieses Mal sperrte man Manson in die noch strengere Indiana Boys School. Er unternahm zahlreiche Fluchtversuche, war aber erst 1951 erfolgreich.
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Charles Manson mit etwa 13 Jahren, drei Tage vor der Flucht aus Boy’s Town
Er flüchtete mit zwei anderen Jungen aus dem Heim. Ihr Ziel war Kalifornien. Die Flucht dorthin finanzierten sich die drei mit Einbrüchen und Autodiebstählen. Die Polizei schnappte sie in Utah. Dieses Mal wartete auf Manson die National Training School for Boys in Washington, D.C.
Die Sozialarbeiter stellten schnell fest, dass Charles Manson sich vor jeglicher Aktivität drückte. Er machte immer nur so viel, wie nötig war, um Ärger mit den Lehrern zu vermeiden. Als er in der Einrichtung eintraf, war er quasi Analphabet trotz eines IQs von 109. Abgesehen vom Fach Musik waren seine sonstigen schulischen Leistungen unterer Durchschnitt.
Die Lehrer merkten, dass Manson eine niedrige Frusttoleranz besaß. Geduld und Ausdauer waren nicht sein Ding. Er war häufig launisch und hinterließ einen ruhelosen Eindruck. Die Erzieher schickten ihn zu einem Psychiater.
Dr. Block kam zu dem Schluss, dass der Junge unter einem schweren psychischen Trauma litt. Seit seiner Geburt hatte es ihm an elterliche Fürsorge und Geborgenheit gefehlt. Er fühlte sich von seiner Mutter zurückgewiesen, zudem minderwertig, weil er kleiner als die meisten anderen Kinder in seinem Alter war. Diese Unsicherheit kompensierte er, indem er permanent die anderen Jungen zu beeindrucken versuchte.
Auf die Empfehlung von Dr. Block verlegte man Charles Manson im Oktober 1951 in das Natural Bridge Honor Camp. Die Sicherheitsvorkehrungen waren dort auf ein Minimum reduziert, die pädagogische Betreuung weitaus besser. Bei Manson schien diese Entwicklung Früchte zu tragen. Für kurze Zeit blühte der Junge regelrecht auf. Seine Chancen auf eine vorzeitige Entlassung stiegen.
Ein gefährlicher Junge
Doch im Januar 1952, nur einen Monat vor seiner Bewährungsanhörung, hielt Manson einem anderen Jungen eine Rasierklinge an den Hals und vergewaltigte ihn. Manson kam in einen Jugendknast nach Virginia, wo man ihn als »gefährlich« einstufte. Nach einer Reihe von Regelverstößen verlegte man ihn im September 1952 nach Chillicothe, Ohio – quasi ein Hochsicherheitsknast für Jugendliche. Für die Unterbringung in einem offenen Erziehungsheim galt Manson inzwischen als vollkommen ungeeignet.
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Charles Manson mit 15
Doch hier veränderte Charles Manson plötzlich sein Auftreten. Er verhielt sich zugänglicher und verbesserte seine schulischen Leistungen. Er lernte Lesen und die Grundrechenarten. Welche Ursache der Wandel hatte, wusste niemand. Möglicherweise war es die schlichte Erkenntnis, dass sein aufsässiges Verhalten nur weitere Sanktionen nach sich zog und seine Entlassung in immer weitere Ferne rückte.
Sein verändertes Betragen hatte schließlich den gewünschten Erfolg. Im Mai 1954 wurde Charles Manson im Alter von 19 Jahren auf Bewährung entlassen. Der Aufenthalt in Freiheit sollte allerdings nicht allzu lange währen.
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Weitere Kapitel zum Fall Charles Manson
- »Helter Skelter« – Charles Manson und Family
- (2) Die Opfer vom Cielo Drive
- (3) Die LaBianca-Morde
- (4) Zusammenhang ausgeschlossen
- (5) Gary Hinman
- (6) Susan Atkins
- (7) Weitere Zeugen
- (8) Charles Manson: Kindheit ohne Struktur
- (9) Beatlemania und Jailhouse Rock
- (10) Sommer der Liebe
- (11) Helter Skelter
- (12) Vincent Bugliosi
- (13) Was man heute über die Tate-Morde weiß
- (14) Was man heute über die LaBianca-Morde weiß
- (15) Die Manson Family vor Gericht: Prozessspektakel
- (16) Der Kult um Charles Manson
- Bücher zu Charles Manson
- Filme zu Charles Manson