Mindestens fünf Säuglinge. Vielleicht auch sechzehn. Darunter das eigene Enkelkind. Im Küchenofen verbrannt. Oder als Paket verschnürt in die Elbe geschmissen. Das waren die Verbrechen, derer man Elisabeth Wiese aus St. Pauli im Oktober 1904 vor einem Hamburger Gericht anklagte. Ihr Motiv: die pure Geldgier.
Hebamme mit unehelichem Kind
Elisabeth Wiese geborene Berkefeld stammte ursprünglich aus dem Göttinger Raum und war von Beruf Hebamme. Ausgerechnet die gelernte Geburtshelferin ließ sich 1886 im Alter von 33 Jahren ein uneheliches Kind andrehen. Damals war das noch mit einem gewaltigen gesellschaftlichen Stigma behaftet. Und darüber hinaus mit praktischen Problemen verbunden. Wie sollte man Geld verdienen und gleichzeitig das Kind großziehen? Nahezu ein Ding der Unmöglichkeit, als es noch keine Kindergärten gab.
Aber Elisabeth Wiese hatte Glück im Unglück. Zwei Jahre nach der Geburt ihrer Tochter Paula fand sie einen Mann, der sie trotz ihres Makels heiratete. Zusammen mit ihrem Gatten Heinrich Wiese, einem Kesselflicker, zog sie Mitte der 1890er Jahre von Hannover nach St. Pauli. Elisabeth Wiese hatte allen Grund für einen Tapetenwechsel. Denn in Hannover war ihr der Boden zu heiß unter den Füßen geworden. Die Hebamme war in zahlreiche Prozesse verstrickt, in denen es um Abtreibungen und Betrug ging.
Planspiele einer Serienmörderin
Die Familie Wiese bezog eine Wohnung im ersten Stock in der Hein-Hoyer-Straße 23 (damals noch Wilheminenstraße), vielleicht 150 Meter von der Reeperbahn entfernt. Die Parallelstraße ist der Hamburger Berg, in dessen schummrigen Bumslokalen der Serienkiller Fritz Honka in den 1970ern seine Opfer mit Kornbrand abfüllte. Das Milieu, in dem sich Elisabeth Wiese herumtrieb, war nicht minder bizarr wie Honkas bevorzugte Schnapspinten, in denen er sich das verbliebene Resthirn wegballerte.
Heinrich Wiese teilte mit Honka eine Leidenschaft, nämlich die für billigen Fusel. Wenn er mal nüchtern war, schaffte mit seiner Kesselflickerei nicht genügend Geld herbei, um den Ansprüchen seiner Frau zu genügen. Und das Geld, das er auf einem Sparbuch gebunkert hatte, rückte er einfach nicht heraus. Plan A von Elisabeth Wiese, um die Einnahmensituation zu verbessern: Den nutzlosen Alten vergiften, um die Kosten zu senken und an seine Ersparnisse heranzukommen. Als das fehlschlug, ging die Giftmischerin im Winter 1901 zu Plan B über. Sie schickte ihre Tochter Paula auf den sogenannten »Inseratenstrich«.
Die Kupplerin
Die Kupplerin bot das Töchterchen im »Generalanzeiger für Hamburg und Altona« zahlungswilligen Freiern feil. Originaltext der Anzeige: »Junge Dame bittet einen edel denkenden Herrn um eine Unterstützung von 30 Mark gegen dankbare Rückzahlung.« Man ersetze »edel denkend« durch »gut situiert« und »Unterstützung« durch »Taschengeld« und merkt, dass sich dieser reizende Charakter auch im Internet-Zeitalter zurechtgefunden hätte.
Die Tochter war verständlicherweise wenig angetan von dem Gedanken, für die Mutter anschaffen zu gehen. Zunächst setzte Elisabeth Wiese die Tochter auf Diät. Dann prügelte sie so lange auf das entkräftete Mädchen ein, bis diese ihren Widerstand aufgab. Einmal soll sie ihr gar mit einem Küchenmesser nachgejagt sein. Wenn die mütterlichen Erziehungsmethoden nichts fruchteten, riet sie den Freiern, das Mädchen härter anzufassen.
Die Tarife passte sie entsprechend an. Einfache sexuelle Nötigung: zwei oder drei Mark. Handfeste Vergewaltigung mit ein bisschen Action: zehn Mark. Großzügig, wie sie war, die Frau Wiese, überließ sie den Freiern das Sofa in der guten Stube. Dass die Untermieter, die sich zu der Zeit in der Wohnung aufhielten, das Spektakel live und in Farbe mitbekamen, störte sie nicht. Im Gegenteil. Sie sah das als aktive Werbung, denn die geschäftstüchtige Wiese versuchte gleich darauf, die Tochter mit den Untermietern zu verkuppeln.
Der Spuk fand im Frühjahr 1902 ein abruptes Ende, als Paula vor der Puffmutter heimlich nach England floh. Sie fand bei einem deutschen Paar in London eine Anstellung als Hausmädchen. Doch das fleißige Studium der Zeitungsinserate hatte Elisabeth Wiese bereits auf die nächste einträgliche und völlig verkommene Geschäftsidee gebracht. Im Anzeigenteil hatte sie Annoncen für »Privatkostkinder« entdeckt. Mit dieser Welt kannte sich Elisabeth Wiese schließlich bestens aus eigener Erfahrung aus.
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Weitere Kapitel zum Fall Elisabeth Wiese
- Elisabeth Wiese - Die Engelmacherin von St. Pauli
- (2) Die verschwundenen Kostkinder
- (3) Die Ermordung des eigenen Enkelkinds
- (4) Prozess gegen Elisabeth Wiese in Hamburg
SEE: „Death on the Baby Farm“ article on „Baby Farmers,“ including Elizabeth Wiese.