(11) Edmund Kemper als Forschungsobjekt

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Ein unauffälliger Häftling

Während seiner Haftzeit beantragte Edmund Kemper einen hirnchirurgischen Eingriff. Er hatte von einer neuen Methode zur Heilung unkontrollierbarer sexueller Aggressionen gelesen. Angeblich ließen sich diese beheben, wenn man bestimmte Hirnareale gezielt zerstörte. Die zuständigen Behörden lehnten Kempers Antrag ab. Sie fürchteten vermutlich, dass er sich nach vollzogener Operation aus der Haft klagen könnte.

Edmund Kemper war ansonsten wie zuvor in Atascadero ein Musterhäftling. Er benahm sich gegenüber den Mitinsassen und dem Wachpersonal freundlich und kooperativ. Er übernahm eine Reihe freiwilliger Aufgaben im Gefängnisalltag. So sprach er zum Beispiel Hörbücher für Blinde auf Kassette. Edmund Kemper nahm bereitwillig an Interviews und Befragungen teil. Sowohl Reporter als auch Personen der Strafverfolgung baten ihnen regelmäßig um seine Mitarbeit. Er erhoffe sich dadurch, ähnliche Verbrechen wie seine in Zukunft zu verhindern, antwortete Kemper, als man ihn nach seinen Motiven fragte. Er könne vielleicht Einblicke in die Denkweise und das Verhalten von Serientätern vermitteln, die den Ermittlungsbehörden ansonsten verschlossen blieben.

Edmund Kemper - November 1973
Edmund Kemper nach der Urteilsverkündung am 9. November 1973

Edmund Kemper als Forschungsobjekt

Die beiden FBI-Agenten Robert Ressler und John Douglas von der 1972 neugegründeten Abteilung für Verhaltensforschung (Behavioral Science Unit) hatten angesichts der steigenden Zahl von Serienverbrechen in den 1970ern die Idee, neue Wege in der Analyse solcher Straftäter zu beschreiten. Bisher gewannen die Behörden ihre Erkenntnisse ausschließlich aus Ermittlungsakten und forensischen Gutachten. Robert Ressler und John Douglas wollten direkt die verantwortlichen Serientäter zu ihrer Denk- und Vorgehensweise befragen.

Die beiden FBI-Agenten entwarfen einen standardisierten Fragenkatalog. Die ermittelten Daten sollten dazu dienen, zukünftig genauere Täterprofile zu erstellen und die Polizei dadurch zum Beispiel bei laufenden Ermittlungen in einer Mordserie effizienter unterstützen zu können. Der Psychiater Dr. James Brussel hatte dazu in 1950ern und 1960er durch seine Mitarbeit an mehreren spektakulären Morduntersuchungen die Grundlagen geschaffen. Das FBI ließ sich von seinen Erkenntnissen inspirieren und schuf darauf aufbauend eine fundiertere Datenbasis.

Ressler und Douglas kontaktierten verschiedene Gruppen von Straftätern: Serienmörder, Serienvergewaltiger, Attentäter und Amokläufer. Sie befragten zudem überlebende Opfer solcher Verbrechen. Ressler und Douglas wollten herausfiltern, wie Täter ihre Verbrechen planten und durchführten, wie sich die Täter nach ihren Taten beziehungsweise vor ihren nächsten Taten verhielten, wie sie über ihre Verbrechen dachten und welche Fantasien sie beschäftigten. Edmund Kemper gehörte zu den ersten Probanden, die Robert Ressler und John Douglas befragten.

Trotz allem, was Edmund Kemper in seinem Leben angestellt hatte, fanden Ressler und Douglas den persönlichen Umgang mit ihm angenehm, wie sie zugaben. »Er war freundlich, offen, empfindsam und hatte einen guten Humor«, schrieb John Douglas in einem seiner Bücher. Ressler wiederum hielt Edmund Kemper für einen der intelligentesten Gefängnisinsassen, mit dem er je zu tun hatte. Allerdings wurde Robert Ressler bei einer Gelegenheit daran erinnert, dass man solchen Burschen wie Kemper besser nie den Rücken zudrehte.

Psycho-Duell mit dem Serienmörder Edmund Kemper

Zur dritten Befragung von Edmund Kemper war Robert Ressler erstmals alleine nach Vacaville gekommen. Er glaubte, inzwischen eine solide Vertrauensbasis geschaffen zu haben. Zudem war Ressler Polizist. Was sollte ihm also schon geschehen? Das Gespräch fand in einer kleinen leer geräumten Zelle statt und dauerte vier Stunden. Als Ressler gehen wollte, drückte er den Knopf an der Wand, um die Wache zu verständigen. Nichts geschah.

Ressler setzte daraufhin das Gespräch fort. Er tat so, als sei alles in Ordnung, und drückte immer weiter auf den Knopf. Ressler berichtete, dass Edmund Kemper jedoch sofort witterte, was in seinem Kopf vorging. Ein leiser Anflug von Panik. Edmund Kemper sagte zu Robert Ressler, er solle sich entspannen. Dann konnte er aber nicht widerstehen, ein wenig seine Macht zu demonstrieren: »Wenn ich jetzt austicken würde, hätten sie eine Menge Ärger am Hals, oder? Ich könnte ihnen zum Beispiel den Kopf abreißen, nur so zum Spaß. Und abwarten, wie der Wachmann reagiert, wenn ihm ihr Schädel von der Tischplatte entgegenblinzelt.«

Ressler versuchte, cool zu bleiben, und ließ sich auf ein Psycho-Duell mit dem Serienkiller ein. Er schindete Zeit. Er hoffte, Kemper würde ihm abkaufen, dass er ein Mann war, der sich selbst zu verteidigen wusste. Endlich erschien die Wache. Edmund Kemper gab ihm zum Abschied mit auf den Weg, dass er ihn nur auf den Arm genommen habe. Aber Robert Ressler ließ sich das eine Lehre sein. Er erschien nie mehr alleine zu einer Befragung.»Der Typ war so riesig, der hätte mich einfach in Stücke reißen können.«

Bleibt die Frage, ob Kempers Beiträge zur Forschung tatsächlich nützlich waren. Die Forensik hat in den letzten vierzig Jahren gewaltige Fortschritte gemacht. Dazu gehörten neben der DNA-Analyse und der verbesserten Spurenauswertung auch die Einblicke in die Verhaltensmuster von Serientätern. Die Zahl der Mordserien und der betroffenen Opfer ist inzwischen rückläufig. Den Höhepunkt erreichte dieser Verbrechenstyp in den 1980ern mit rund 600 verschiedenen Serien alleine in den USA. Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts zählten die Behörden »nur« noch 275 Mordserien. Letztlich kann der Rückgang aber auch eher banale Gründe haben. Anhalter – die bevorzugte Opfergruppe von Edmund Kemper und vieler anderer Serientäter – sind heute selten geworden.

»I Never Promised You a Rose Garden«

Vor einigen Jahren erhielt Dr. William Shanberger, früherer Psychiater in Atascadero, Post von seinem ehemaligen Patienten Edmund Kemper. Das Päckchen enthielt eine einzelne Tasse, die Kemper in mühseliger Handarbeit selbst gefertigt hatte. Das mosaikartige Gefäß war sehr fantasievoll dekoriert, fast schon ein Kunstwerk und ganz gewiss ein Unikat. Der massive Kaffeebecher war voll funktionsfähig, hatte aber ein Manko: Edmund Kemper hatte die Tasse bewusst deformiert. Die Keramiktasse wirkte zerknautscht, wie eingedrückt.

Natürlich verstand der Fachmann Dr. Shanberger sofort die Botschaft, die ihm der psychologisch beschlagene Edmund Kemper damit zukommen ließ: Ich bin so wie diese Tasse – interessant, einzigartig, schön, schillernd, aber letzten Endes beschädigte Ware. Kemper hatte in die Glasur noch zwei persönliche Nachrichten an Dr. Shanberger eingefügt. Auf der Außenseite stand geschrieben: »I Beg Your Pardon.« Und auf dem Tassenboden war zu lesen: »I Never Promised You a Rose Garden«.

 

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Edmund Kemper, Robert Ressler, John Douglas und das FBI
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Edmund Kemper, Robert Ressler, John Douglas und das FBI
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John Douglas und Robert Ressler befragten Edmund Kemper für das FBI. (Artikel ist Teil einer 10-teiligen Serie über den Fall Edmund Kemper)

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