Clarnell Strandberg, die Mutter von Edmund Kemper, arbeitete als Verwaltungsangestellte an der University of California in Santa Cruz. Sie bat das Sekretariat der Uni, ihrem Sohn einen Universitäts-Aufkleber auszuhändigen, obwohl er kein eingeschriebener Student war. Er fuhr sie hin und wieder zur Arbeit. Es war lästig, wenn die Wachen am Eingangstor zum Campus ihn jedes Mal anhielten und kontrollierten. Clarnell Strandberg wurde als Kollegin und Mitarbeiterin geschätzt. Sie galt als freundlich, warmherzig und hilfsbereit. So jemandem half man doch gerne, wenn er um einen Gefallen bat.
Rosalind Thorpe und Alice Liu
Am 5. Februar 1973 hatte Edmund Kemper einen fürchterlichen Streit mit seiner Mutter. Kemper ließ auf seine Art und Weise Dampf ab. Er fuhr zum Arbeitsplatz seiner Mutter hinaus und hielt auf dem Campus der University of California nach potenziellen Opfern Ausschau. Er würde sich an ihr rächen, indem er seinen nächsten Mord quasi direkt vor ihren Augen beging. Kemper musste sich nicht lange gedulden. Zunächst traf er auf die 24-jährige Anhalterin Rosalind Thorpe. Als sie in seinem Wagen Platz genommen hatte, entdeckte Kemper eine weitere Tramperin: die 23-jährige Alice Liu. Das Misstrauen der Studentin verflog, sobald sie die andere Frau im Fahrzeug bemerkte.
»Miss Liu stieg auf den Rücksitz und setzte sich auf die rechte Seite direkt hinter Miss Thorpe«, erzählte Kemper später im Verhör. »Ich fuhr ein wenig kreuz und quer übers Campusgelände. Dann verlangsamte ich das Tempo an einer Stelle, an der sonst niemand zu sehen war. Ich sagte zu den beiden: ‚Was für eine schöne Aussicht!‘ Ich hielt einen Moment an. Die beiden blickten zum Fenster hinaus. In der Zeit hatte ich meine Pistole unterm Sitz hervorgekramt. Ich legte auf den Kopf von Miss Thorpe an und zog den Abzugbügel. Sie fiel mit dem Gesicht gegen das Fenster. Miss Liu geriet in Panik. Sie riss die Hände hoch, um ihr Gesicht zu schützen. Ich drückte ab. Aber sie bewegte sich. Ich verfehlte sie. Ich schoss insgesamt zweimal daneben.«
Die dritte Kugel traf Alice Liu in die Schläfe. Kemper zielte nochmals und feuerte. Aber Alice Liu lebte noch, auch wenn die Verwundungen letztlich tödlich waren. Sie stöhnte und machte laute Atemgeräusche. Edmund Kemper hüllte die beiden Frauen notdürftig in zwei Decken ein, ließ sie aber vorne im Wagen. Er fuhr zum Tor der Uni, das von zwei Leuten bewacht wurde. Er rief ihnen aus dem heruntergekurbelten Fenster zu, dass er zwei betrunkene Studentinnen nach Hause bringe. Die Wachmänner sahen seinen Uniaufkleber und winkten ihn durch. Edmund Kemper fühlte sich, als sei er unsichtbar: »Es wurde immer einfacher. Ich wurde besser und besser in dem, was ich tat.«
Zerstückelung im Haus seiner Mutter
Er schaffte die Leichen der Frauen zum Haus seiner Mutter. Er zerlegte und enthauptete sie, während sich seine Mutter in der Nähe aufhielt. Draußen war noch helllichter Tag und in der Ord Street in Aptos, in der die Kempers lebten, standen die Einfamilienhäuser dicht an dicht. Edmund Kemper war bewusst, dass jederzeit ein Nachbar vor seinem Fenster im Erdgeschoss auftauchen konnte. Er hätte bloß einen Blick hineinwerfen müssen, um ihn auf frischer Tat zu erwischen. Aber nichts dergleichen geschah. Ausgerechnet »Big Ed« Kemper war unsichtbar. Am nächsten Tag verteilte er die Körperteile im Pazifik und in den Hügeln ringsum. Die Köpfe schaffte er in eines seiner speziellen Verstecke.
Am 4. März 1973 stolperte im Eden Canyon nahe San Francisco eine Gruppe Wanderer über einen Wangenknochen und einen Schädel menschlichen Ursprungs. Die Überreste lagen unweit des Highway 1. Die Untersuchungen ergaben, dass beide Knochenteile nicht von derselben Person stammten. Die Polizei durchkämmte daraufhin großflächig das Gelände. Die Beamten entdeckten ein weiteres Paar Wangenknochen sowie einen Schädel. Die Gebeine passten zu den ersten Fundstücken.
Die Beamten durchforsteten die aktuellen Vermisstenanzeigen. Es stellte sich heraus, dass man Teile der Leichen von Rosalind Thorpe und Alice Liu geborgen hatte. Der Gerichtsmediziner bemerkte am Schädel von Liu zwei Einschusslöcher, am Kopf von Thorpe eines. Nun besaßen die Ermittler zumindest einen Anhaltspunkt, wie der »Co-ed Butcher« seine Opfer tötete.
Vergebliche Appelle
Natürlich hatte es in den zurückliegenden Monaten zig Aufrufe an die Bevölkerung gegeben, die dringend davon abrieten, als Anhalter durch die Gegend zu reisen. Nur fruchteten sie augenscheinlich wenig. Der Wahnsinn ging weiter, auch weil viele Studentinnen ohne eigenes Fahrzeug praktisch aufgeschmissen waren. Die Wege in Kalifornien waren zu weit, um mal eben zu Fuß oder mit dem Fahrrad an die Uni oder in die Stadt zu kommen. Und der öffentliche Nahverkehr war eine einzige Katastrophe. Zumindest die University of California reagierte. Sie richtete kurzfristig einen Bus-Shuttle ein, um ihre Studentinnen sicher vom Campus nach Hause zu bringen.
Insbesondere die Fernsehreporterin Marilyn Baker heizte in dieser Phase die Ängste der Bevölkerung zusätzlich an. Sie fertigte reißerische Berichte, übertrieb schamlos, berief sich auf Gerüchte und verkaufte ihrem Publikum Dinge als Fakten, die sie nie überprüft hatte. Sie behauptete beispielsweise, bei Cindy Schall sei die Achillessehne durchtrennt gewesen. Oder es gebe Beweise, dass mehrere der Opfer längere Zeit gefangen gehalten wurden. Nichts davon stimmte.
Medien heizen die Stimmung an
Baker äußerte vor laufender Kamera: »Die Morde des ‚Co-ed Butcher‘ sind einzigartig. Die Enthauptung und Zerstückelung der Leichen wurde von jemandem vorgenommen, der nach Meinung der Polizei aller Voraussicht nach über medizinische Fachkenntnisse oder eine Ausbildung als Fleischer verfügte. Das war – ich zitiere – ‚die Arbeit eines absoluten Profis‘. Der Täter hat die Körper der Frauen an einem Haken aufgehangen, mit dem Kopf nach unten, und dann seine Schnitte ausgeführt. Dadurch konnte das Blut sauber ablaufen, was ihm das Zerlegen erheblich vereinfachte.« Niemand von der Polizei hatte jemals auch nur ansatzweise solch eine Aussage getätigt.
Baker suggerierte den Zuschauern, dass der Täter entweder eine lesbische Ärztin oder ein Metzger-Transvestit sei. Sie warnte ihr Publikum davor, sich vor Montagen in acht zu nehmen. Denn der Killer habe immer montags nach Einbruch der Dunkelheit während einer Vollmondnacht zugeschlagen. Das war komplett gelogen. Marilyn Baker war es egal. Sie baute auf diesen vorgeblichen »Fakten« ihre eigene Theorie auf. Die Studentinnen-Morde seien in Wahrheit Teil eines satanistischen Rituals eines irren Kults à la Charles Manson. Die Polizei sei bloß zu unfähig, um diese glasklaren Zusammenhänge zu begreifen.
Die Polizei war wütend über diese Art von Berichterstattung, welche mit der Angst der Bevölkerung spielte. Aber die Beamten konnten nichts dagegen tun. Sie hatten keinen Tatverdächtigen. Sie wussten nicht einmal, wie der Täter vorging. Vor allen Dingen hatten sie keine Ahnung, wo sie nach ihm suchen sollten und wie sie die Mordserie beenden könnten. Diese Aufgabe übernahmen dann Kommissar Zufall und der Mörder gemeinsam.
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Weitere Kapitel zum Fall Edmund Kemper
- Edmund Kemper – Der Co-ed Killer
- (2) Aiko Koo und Cindy Schall
- (3) Rosalind Thorpe und Alice Liu
- (4) Kommissar Zufall
- (5) Die Ermordung der eigenen Mutter
- (6) Edmund Kemper stellt sich
- (7) Edmund Kemper - Kindheit
- (8) Edmund Kemper ermordet seine Großeltern
- (9) Edmund Kemper - Modus Operandi
- (10) Der Prozess gegen Edmund Kemper
- (11) Edmund Kemper als Forschungsobjekt
- (12) Filme über Edward Kemper
- (13) Bücher über Edmund Kemper