(9) Edmund Kemper – Modus Operandi

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Als die Bewährungskommission Edmund Kemper 1969 aus Atascadero entließ, empfahlen die Psychiater ausdrücklich, dass der entlassene Patient nicht zu seiner Mutter Clarnell zurückkehren sollte. Diese Frau war Gift für den Jungen. Sie löste Aggressionen bei ihm aus, die er nicht kontrollieren konnte. Clarnell Strandberg litt nach Einschätzung der Ärzte selber unter gravierenden psychischen Störungen.

Psychisch schwer gestörte Mutter

Die Alkoholikerin, die zu Depressionen neigte, vermittelte gegenüber Kollegen und Bekannten das Bild einer umgänglichen und geselligen Frau. In engen persönlichen Beziehungen war sie das komplette Gegenteil davon. Da lernten speziell Männer die manipulative, kränkende und herrische Seite von Clarnell Strandberg kennen, der es scheinbar große Lust bereitete, nahezu pausenlos bösartig zu sein. Mit Vorliebe stellte sie die Männlichkeit ihrer Bezugspersonen infrage oder redete ihnen ein, dass sie vollkommen nutzlose Individuen seien.

Nachdem die Bewährungskommission ihre Entscheidung getroffen hatte, kümmerte sich niemand mehr darum, was aus Edmund Kemper wurde. Es gab keine psychologische Nachbetreuung. Die Behörden halfen ihm auch nicht in den ersten Tagen und Wochen nach seiner Entlassung, wieder auf die Beine zu kommen und einen Job zu finden. Kemper stand erst einmal mittellos auf der Straße. Ihm blieb letztlich gar keine andere Wahl, als wieder bei der verhassten Mutter einzuziehen, wenn er nicht in der Gosse landen wollte. Und damit gingen die Konflikte vor vorne los.

Clarnell Strandberg hatte inzwischen Ehemann Nummer drei verlassen. Sie hatte einen neuen Job als Verwaltungsassistentin an der Universität von Santa Cruz gefunden. Sie bewohnte eine Doppelhaushälfte am Ord Drive in Aptos. Sobald der Sohn dort einzog, flogen regelmäßig die Fetzen. Die Nachbarn wurden öfters unfreiwillige Zeugen der lautstarken Auseinandersetzungen, die sich aus den ständigen Sticheleien und Demütigungen seiner Mutter ergaben.

Typisches Beispiel: Nach seiner Entlassung aus Atascadero hätte Kemper gerne junge Frauen kennengelernt, ganz ohne den Hintergedanken sie zu töten. Er fragte seine Mutter, ob sie ihm nicht vielleicht ein paar der Studentinnen vorstellen könne. »Sie weigerte sich. Sie hielt diese Frauen einfach zurück. Sie sagte, sie seien zu gut für mich. Sie sagte, ich sei wie mein Vater. Ich verdiente es gar nicht, sie kennenzulernen«, erinnerte sich Kemper.

Edmund Kemper entdeckt die Lust am Fahren

Edmund Kemper flippte bei solchen Sprüchen regelmäßig aus. Seine Mutter freute sich derweil, dass sie mit ihren Bemerkungen wieder voll ins Schwarze getroffen hatte. Um seine Wut abzureagieren, fuhr Kemper immer öfters in der Gegend herum. Dann hielt er Ausschau nach den Mädchen, die er nicht haben durfte.

Er hatte sich nach der Entlassung ein Motorrad besorgt, mit dem er zweimal einen Unfall baute. Der zweite Unfall brachte ihm 15.000 US-Dollar Schmerzensgeld ein. Sehr viel Geld für einen jungen Mann Anfang der 1970er. Kemper kaufte sich von dem Geld unter anderem einen gelben Ford Galaxy. Exakt den gleichen Wagen fuhr im Übrigen der New Yorker Serienkiller David Berkowitz.

Die ziellose Herumfahrerei entwickelte sich zu Kempers großer Leidenschaft. Dazu brauchte es nicht länger einen Streit mit seiner Mutter. Er legte am Tag oftmals mehrere Hundert Kilometer zurück. Edmund Kemper erklärte das später wie folgt: Nachdem er den Großteil seiner Jugend eingesperrt gewesen sei, habe er einen großen Freiheitsdrang verspürt. Die Fahrten kreuz und quer durch Kalifornien hätten ihm genau dieses Gefühl vermittelt. Bei seinen Ausflügen fiel ihm auf, dass am Straßenrand jede Menge junger Anhalterinnen standen. An der Westküste war diese Fortbewegungsart gerade unter Studenten äußerst beliebt.

Trainingsprogramm eines Serienmörders

Edmund Kemper musterte die attraktiven Frauen aufmerksam. Er malte sich auf seinen langen Fahrten aus, welche Dinge er mit ihnen anstellen könnte. Die Fantasien wurden mit der Zeit immer konkreter, immer gewalttätiger. Er beschloss, seine Träume Wirklichkeit werden zu lassen. Dieser Schritt vollzog sich allerdings langsam. Zunächst präparierte er lediglich seinen Wagen. Er bunkerte Müllsäcke im Kofferraum. Er legte eine Decke griffbereit auf die Rückbank. Er versteckte Messer und Handschellen im Fahrzeug. Von jetzt an stieg er in dem Bewusstsein in den Wagen, optimal vorbereitet zu sein. Nun musste er nur noch eine passende Gelegenheit abwarten.

Er nahm über einen längeren Zeitraum Anhalterinnen mit, ohne ihnen ein Haar zu krümmen oder sie in irgendeiner Weise zu belästigen. Er wollte lernen, wie diese Begegnungen typischerweise abliefen. Wie die Mädchen reagierten. Welches Verhalten sie abschreckte, welches sie Vertrauen schöpfen ließ. Womit man auf der Fahrt zu rechnen hatte. Nach Kempers Schätzungen chauffierte er mehr als 150 Tramperinnen durch die Gegend, bevor er im Mai 1972 seinen ersten Anhalterinnen-Mord beging.

Gespieltes Desinteresse

Die Ermittler hatten während der Untersuchung der Mordserie keinen blassen Schimmer, dass Edmund Kemper der gesuchte Serienkiller war. Deshalb interessierte sie insbesondere die Frage, wie es ihm gelungen war, die Frauen in seinen Wagen zu locken. Das war der schwierigste Teil in seinem Plan. Es stellte sich heraus, dass Kemper mit der Zeit eine erfolgreiche Strategie entwickelt hatte, den Mädchen vorzugaukeln, sie seien in seiner Gegenwart sicher. Er tat zunächst, als habe er überhaupt kein Interesse daran, die Mädchen mitzunehmen. Er schaute auf die Uhr, stellte laut Berechnungen an, wie viel Umweg er auf sich nehmen müsse, und schien sich erst langsam dazu durchzuringen, die Anhalterinnen einsteigen zu lassen. Das gespielte Desinteresse überzeugte mehr als jede willfährige Hilfsbereitschaft.

»Jeder, der als Anhalter fuhr, handelte entsetzlich dumm«, sagte Edmund Kemper. »Die jungen Leute dachten, es sei ein Riesenspaß. Vielleicht fanden sie es sogar ein bisschen aufregend, weil sie sich potenziell in eine gefährliche Situation brachten. In Wahrheit war es, als würden sie ihr eigenes Todesurteil unterzeichnen. Wenn du sie erst einmal im Auto hattest, saßen sie unweigerlich in der Falle.«

Wachsende Erregung

»Ich habe diese jungen Frauen aufgelesen«, beschrieb Edmund Kemper seine Vorbereitungsphase in einem Interview, »und jedes Mal bin ich ein kleines bisschen weitergegangen. Das war wahnsinnig aufregend für mich. Erst bin ich einfach nur mit ihnen umhergefahren. Dann habe ich mir eine Waffe besorgt und im Auto versteckt. Dann bin ich mit ihnen zu einer einsamen Stelle rausgefahren, wo es keine Zeugen mehr gab und die Mädchen verwundbar waren.«

»Ich ging alles, was ich mir vorgestellt hatte, im Kopf durch. Ich könnte jetzt zuschlagen. Es wäre ganz leicht. Ich hatte diese Waffe im Auto versteckt und ich konnte sie spüren. Ich musste sie nur herausziehen. Und dann sagte ich mir: ‚Nein, das kannst du nicht tun.‘ Dieses Gefühl machte mich fast verrückt. Aber auf eine gute Art verrückt. Das fühlte sich wahnsinnig aufregend an. Es erregte mich. Es hat mich geradezu überwältigt. Es war wie mit Drogen oder Alkohol. Irgendwann reicht es dir nicht mehr, nur davon zu nippen. Irgendwann willst du den totalen Rausch.« Dieser Punkt war für Edmund Kemper am 7. Mai 1972 erreicht.

Beziehungsgestört

Die Psychiater wollten von Edmund Kemper auch wissen, warum er denn nicht versucht habe, eine normale Beziehung zu einer jungen Frau aufzubauen. Schließlich stellte er sich ja augenscheinlich recht geschickt im Umgang mit anderen Menschen an. Sie schöpften leicht Vertrauen zu ihm und unterhielten sich gerne mit dem intelligenten Mann. Wieso musste Kemper diese Studentinnen unbedingt töten?

Kemper erklärte seine Motive wie folgt: »Zum einen: Was sollte ich ihnen über mich erzählen? Dass ich sechs Jahre in einer Anstalt verbracht hatte? ‚Ach, und übrigens, bevor ich es vergesse: Meine Großeltern habe ich auch noch gekillt.‘ Aber entscheidender noch war mein Frust, den mir meine Mutter eingepflanzt hatte. Ich hatte Riesenängste, in einer Beziehung zu einer Frau zu versagen. Ich war nicht impotent. Aber einfach unfähig, auf dieser Ebene mit Frauen zu kommunizieren. Ich wäre lieber gestorben, als einer zu gestehen, dass ich sie toll fand, dass ich sie begehre. Das hat mich zutiefst frustriert. Dieses Wissen, dass ich mein ganzes Leben in dieser Falle gefangen sein würde.«

Seine Vorstellung einer befriedigenden Beziehung zu einer Frau bestand darin, sie zu töten. Damit erlangte er die vollständige Kontrolle und Dominanz. Darin erschöpfte sich Kempers Definition von einer zwischenmenschlichen Beziehung. Sie war einseitig, der Beziehungspartner existierte nur als Objekt eigener Wünsche. Sich einem anderen Menschen zu öffnen, Dinge zu teilen, waren in dieser Definition nicht vorgesehen.

Der Psychologe Donald Lunde, der neben Kemper auch die Serientäter Frazier und Mullin begutachtet hatte, hielt es deshalb nicht für plausibel, dass die Morde an den Studentinnen lediglich die Generalprobe für das finale Töten der Mutter waren. Zum einen war der Hass auf die Mutter ein Gemeinplatz unter Serienmördern. Das Meucheln der Mutter gehörte in deren Fantasiewelt zum festen Ritual dazu.

Laut Lunde waren die Morde an den Studentinnen Selbstzweck. Der Akt des Tötens hatte Edmund Kemper hochgradig sexuell stimuliert. Es war die Erfüllung seiner Fantasien, die ihn seit Jahren beschäftigten. In Atascadero hatte sich Kemper bereits Methoden überlegt, wie er am besten eine menschliche Leiche zerstückeln und beseitigen könnte. Dort kam ihm auch die Idee, die sterblichen Überreste an mehreren Orten zu verteilen, um damit eine Identifizierung der Opfer zu erschweren. Die Verbrechen waren also von langer Hand geplant und gewollt.

Der Traum von einer Karriere als Polizist

Teil von Kempers Bewährungsauflagen war der Besuch eines sogenannten Community College. Ein Community College entspricht im Deutschen etwa den Fachoberschulen. Die Absolventen bereiten sich zwei Jahre entweder auf die Aufnahmeprüfung an einer Universität oder den Einstieg in die Arbeitswelt vor. Dem hochbegabten Kemper fielen die schulischen Anforderungen leicht.

Am Anfang machte er sich Hoffnungen, dass das Community College seine Eintrittskarte für einen Job bei der Polizei war. Diese Arbeit faszinierte ihn. In seiner Freizeit verschlang er die damals populären Detektiv- und True-Crime-Magazine, die im Groschenromanstil über diese spannende Welt berichteten. Doch bei einem Beratungsgespräch stellte sich heraus, dass »Big Ed« zu groß für den Polizeidienst war. Er verschaffte sich dann wie erwähnt dennoch Zugang zu diesen Kreisen. Am Anfang war dieser Kontakt jedoch nicht taktisch geprägt, sondern lag einfach in der Faszination Kempers für diesen Beruf begründet.

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Scheitern

Als sich der Traum von einer Polizistenkarriere zerschlug, nahm Kemper verschiedene Jobs an und blieb schließlich beim kalifornischen Straßenbauamt hängen, das für die Instandhaltung und Bewirtschaftung der Highways zuständig war. Für Kemper war der Job auch das Ticket, um seiner verhassten Mutter zu entkommen. Als er genügend Geld gespart hatte, verließ er deren Haus. Er zog nach Alameda in der Nähe von San Francisco. Dort teilte er sich ein Apartment mit einem Freund.

Von Anfang an hatte er Angst, dass er versagen könnte und wieder bei seiner Mutter einziehen müsste. So kam es dann auch. Er verlor seine Anstellung, war bald pleite und kehrte zurück zum »Hotel Mama« – Hölle mit Vollpension. Aber dieses Mal trug seine Mutter allenfalls bedingt Schuld für das Scheitern ihres Sohnes. Denn Kemper hatte zu diesem Zeitpunkt bereits Mary Pesce, Anita Lucchessa und Aiko Koo getötet. Schwer vorstellbar, dass sich der bekennende Tagträumer Kemper da noch gedanklich mit so banalen Dingen wie Arbeit und Geldverdienen beschäftigte.

Professor für angewandte Perversionen

Edmund Kemper wirkte in seinem Auftreten stets sachlich und analytisch. Emotional wurde er nur, wenn man auf seine Mutter zu sprechen kam. Weil er in seiner Jugend den Ärzten von Atascadero genau zugehört hatte, beherrschte er alle psychologischen Fachbegriffe aus dem Effeff. Wenn sich die Ermittler mit ihm unterhielten, kam es ihnen häufig so vor, als würde ihnen ein Professor für Psychiatrie – im Nebenberuf als Serienkiller tätig – ganz nüchtern die Abgründe menschlichen Verhaltens darlegen und analysieren. Kemper war darin so gut, dass er mit dieser Masche sogar die Profis aufs Kreuz gelegt hatte.

Am Tag nach dem Mord an Aiko Koo war Edmund Kemper nämlich vor einer Psychiaterkommission erschienen. Der Ausschuss sollte prüfen, wie Kemper sich in den vergangenen drei Jahren nach seiner Entlassung aus Atascadero entwickelt hatte. Es ging um die Frage, ob man die Bewährung aufheben konnte. Kempers Schulnoten waren gut. Die Kommission wertete seine unsteten Beschäftigungen als redliches Bemühen, Arbeit zu finden. Soweit der Ausschuss dies beurteilen konnte, hatte sich Kemper in den vergangenen Jahren auch nichts zuschulden kommen lassen. Die Psychiater stellten ihm noch ein paar Fragen. Kemper lieferte wie gehabt die Antworten, die Psychiater hören wollten.

Der erste Arzt äußerte abschließend, dass er keinen Grund erkennen könne, Kemper weiterhin als Gefahr für die Gesellschaft einzustufen. Der zweite Arzt benutzte wortwörtlich die Begriffe »normal« und »sicher« im Zusammenhang mit Kemper. Beide Ärzte empfahlen, dass man seine Strafakte versiegelte, um ihm seinen weiteren Lebensweg nicht zu verbauen. Die Psychiater gratulierten sich gegenseitig, dass sie einen psychisch Kranken geheilt und der Gesellschaft wieder als nützliches Mitglied zurückgeführt hatten. Was gab es Schöneres im Beruf. So bekam Edward Kemper acht Jahre nach dem Mord an seinen Großeltern die Freiheit wieder.

Während er in entspannter Atmosphäre mit den Ärzten darüber plauderte, ob er geistig völlig normal sei, wartete draußen im Kofferraum der abgeschnittene Kopf eines 15-jährigen Mädchens auf ihn, das er am Tag zuvor getötet hatte. Im Anschluss an das Gespräch fuhr Edmund Kemper zum Boulder Creek hinaus und feierte den Erfolg auf seine perverse Art und Weise.

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Modus Operandi und Motive - Edmund Kemper (9/10)
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Edmund Kemper war nicht nur geständig. Der Serienkiller Edmund Kemper berichtete auch detailliert über seinen Modus Operandi.

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