Nur drei Monate nach Ablauf der Bewährungsfrist beging John Wayne Gacy seinen ersten Mord. Am 2. Januar 1972 gabelte er am Busbahnhof in Chicago den 15-jährigen Timothy Jack McCoy auf. McCoy war auf dem Weg von Michigan nach Nebraska. Gacy lud den Jungen zu einer Tour durch Chicago ein. Am Ende des Sightseeings überredete er McCoy dazu, sein Haus in der Summerdale Avenue aufzusuchen. Gacy bot dem Teenager an, bei ihm auf der Couch zu übernachten. Am nächsten Tag würde er ihn wieder zur Greyhound-Station fahren, damit er seinen Anschluss nach Omaha in Nebraska bekäme.
Vor der Polizei sagte Gacy aus, Timothy McCoy habe am nächsten Morgen mit einem Küchenmesser in seinem Schlafzimmer gestanden. Er sei aus dem Bett gesprungen und habe sich auf den Jungen gestürzt. McCoy habe die Arme nach oben gerissen, als wolle er sich ergeben. Dabei habe er Gacy versehentlich mit der Klinge am Oberarm getroffen. Um seine Behauptung zu untermauern, zeigte der Serienmörder den Beamten eine Narbe an seinem Arm.
Er habe McCoy dann das Handgelenk so lange herumgedreht, bis dieser das Messer fallen ließ. Anschließend habe er den Kopf des Jungen gegen die Wand gerammt und ihn gegen den Schlafzimmerschrank geworfen. McCoy habe sich gewehrt und ihm in den Bauch getreten. Daraufhin habe Gacy ihn zu packen bekommen, ihn niedergerungen, sich auf seine Brust gesetzt und ihm mit dem Küchenmesser mehrfach in die Brust gestochen.
Tödliches Missverständnis
Als er in die Küche gegangen sei, habe er einen offenen Eierkarton bemerkt. Auf dem Küchentisch habe zudem eine noch nicht angeschnittene Schinkenschwarte gestanden. Der Tisch sei für zwei Personen gedeckt gewesen. Gacy wurde schlagartig klar, dass er einem Irrtum aufgesessen war. McCoy habe ihn in Wahrheit wohl nur zum Frühstück wecken wollen. Mit dem Messer habe der Junge den Schinken anschneiden wollen und sich nichts Böses dabei gedacht, als er damit ins Schlafzimmer spaziert sei. Gacy ließ McCoys Leiche im Kriechkeller verschwinden und verschloss die Grabstelle später mit Beton.
In seinem Geständnis schilderte John Gacy seine Gefühle nach dem ersten Mord als zwiespältig. Einerseits habe er sich emotional völlig ausgelaugt gefühlt. Andererseits erinnerte er sich, einen Orgasmus bekommen zu haben, während er den Jungen tötete. »In diesem Moment wurde mir klar, dass das Töten der ultimative Kick war.«
Unbekanntes Opfer
Seinen zweiten Mord beging Gacy im Januar 1974. Das Opfer war ein Jugendlicher, vermutlich zwischen 14 und 18 Jahre alt, mit mittellangem, braunem, gelocktem Haar. Bis heute ist es der Polizei nicht gelungen, die Identität des Toten festzustellen. Gacy gab zu, den Jungen erdrosselt und in seinem Garten fünf Meter neben dem Grillplatz verscharrt zu haben. Zuvor hatte er die Leiche in einem Schrank gelagert. Dabei sei dem Toten Flüssigkeit aus Nase und Mund getropft. Aufgrund dieser Erfahrung habe er seinen Opfern immer Kleidungsgegenstände in den Hals gestopft.
1974 gründete John Gacy sein Bauunternehmen, das bereits im folgenden Jahr stark expandierte. Er arbeitete 12 bis 16 Stunden am Tag, um die zunehmende Zahl an Aufträgen bewältigen zu können. Das führte dazu, dass er sich verstärkt nach »Entspannung« sehnte. Zunächst hielt er nur nach sexuellen Abenteuern mit jungen Männern Ausschau. Diese standen nicht gerade Schlange, um sich mit einem älteren, dicklichen Typen einzulassen. Gacy griff auf frühere Verhaltensmuster zurück: Missbrauch von Abhängigen und Minderjährigen.
Niedergerungen
Der 15-jährige Anthony Antonucci war einer von Gacys Beschäftigten. Gacy hatte ihn im Mai 1975 eingestellt. Im Juli 1975 erlitt Antonucci einen Arbeitsunfall. Er hatte sich den Fuß verletzt. Gacy besuchte den Jungen zu Hause, als seine Eltern nicht da waren. Gacy machte den 15-Jährigen betrunken, überwältigte ihn und fesselte ihm die Hände auf den Rücken. Die Schelle um das rechte Handgelenk saß jedoch locker, sodass sich Antonucci befreien konnte.
Anthony Antonucci war Mitglied des Ringerteams an seiner Schule. Er stürzte sich auf den überraschten Gacy, rang ihn zu Boden und entwendete ihm die Schlüssel für die Handschellen. Dann legte er seinem Peiniger die Fesseln an. Zunächst stieß Gacy wüste Drohungen aus, beruhigte sich jedoch bald.
Er bequatschte den Jungen, ihm die Fesseln abzunehmen. Gacy versprach ihm, sofort zu verschwinden und ihn in Zukunft in Frieden zu lassen. Antonucci ließ sich schließlich überreden. Sein Glück: Gacy hielt sich an das Versprechen. Dem Jungen passierte nichts. Dafür musste ein anderer Junge eine Woche später für Gacys Frust und Wut über die Demütigung mit seinem Leben bezahlen.
John Butkovic
Der 17-jährige Johnny Butkovich war ein Autofreak. Sein ganzer Stolz war ein Dodge Baujahr 1968, an dem er in jeder freien Minute schraubte. Doch Ersatzteile waren teuer. Er brauchte einen Job, der ihm sein Hobby finanzierte. Er bewarb sich bei Gacys Firma. Butkovich fühlte sich dort auf Anhieb wohl. Er bekam ein gutes Gehalt. Die Arbeitszeit verging wie im Flug, weil man sich mit dem Chef so gut unterhalten konnte.
Die positive Stimmung erhielt einen empfindlichen Dämpfer, als John Gacy dem Jungen seinen Lohn für zwei Wochen Arbeit verwehrte. Gacy fuhr öfters solche linke Touren. Wenn der Angestellte klein beigab, steckte er das Geld in die eigene Tasche. John Butkovic war verständlicherweise wütend. Er glaubte, er käme an sein Geld heran, wenn er Gacy drohen würde. So stand er am 28. Juli 1975 abends mit zwei Freunden bei Gacy vor der Haustür.
Doch der windige Bauunternehmer zeigte sich von dem burschikosen Auftritt nicht sonderlich beeindruckt. Er weigerte sich nach wie vor, den Lohnscheck auszustellen. Die Kontrahenten brüllten sich an. Butkovic drohte, Gacy beim Finanzamt zu verpfeifen, weil er seine Angestellten teilweise schwarz beschäftige. Die Drohung erwies sich als fruchtlos. Johnny Butkovic und seine Freunde zogen wieder ab. Sie wollten keine Anzeige wegen Körperverletzung oder Hausfriedensbruch riskieren. Am Tag darauf verschwand Butkovic spurlos.
John Gacy gestand später, den Jungen am 29. Juli unter dem Vorwand in sein Haus gelockt zu haben, sich gütlich einigen zu wollen. Er hatte das Haus für sich alleine, da seine Frau und die Stieftöchter eine seiner Schwestern in Arkansas besuchten. Gacy gelang es, Butkovic zu fesseln. Er strangulierte ihn und verscharrte seinen Leichnam unter dem Estrich in seiner Garage. Man fand Butkovics Dodge verlassen auf einem Parkplatz auf. Im Wageninnern lag noch das Portemonnaie des Jungen. Der Schlüssel steckte in der Zündung.
Unantastbar
Butkovics Vater wandte sich an den Boss seines Sohnes. Gacy versprach, ihm bei der Suche nach seinem Johnny behilflich zu sein. Allerdings befürchte er, so John Gacy, der Junge sei durchgebrannt. Schließlich ermittelte die Polizei. Sie befragte auch Gacy zu dem Vermisstenfall. Er gab zu, dass Butkovic am Tag vor seinem Verschwinden mit zwei Freunden bei ihm aufgetaucht sei und eine ausstehende Lohnzahlung angemahnt habe. Doch er behauptete, die drei wären wieder friedlich abgezogen, als man sich auf einen Kompromiss geeinigt habe.
In den folgenden drei Jahren kontaktierten die Eltern von John Butkovic mehr als hundert Mal die Polizei. Sie forderten die zuständigen Beamten wiederholt auf, John Gacy genauer unter die Lupe zu nehmen. Vergeblich. Ein Muster, das sich in den folgenden dreieinhalb Jahren noch mehrfach wiederholen sollte. Die Polizei konnte einfach nicht glauben, dass der angesehene Bauunternehmer privat männliche Teenager verführte, vergewaltigte und ermordete. Diese Denke sollte sich als fataler Irrtum erweisen. Bis Dezember 1978 sollten dem vermeintlichen Saubermann John Wayne Gacy noch mindestens dreißig weitere junge Menschen zum Opfer fallen.
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Weitere Kapitel zum Fall John Wayne Gacy
- »Pogo der Killer-Clown« – John Wayne Gacy Jr.
- (2) Die Fassade bröckelt
- (3) Der dickliche Sadist
- (4) Das Spiel ist aus
- (5) Leichen im Keller
- (6) Archäologische Ausgrabungen
- (7) Eine Kindheit in Chicago
- (8) Ein Mann auf dem Weg nach oben
- (9) Flecken auf der weißen Weste
- (10) Neuanfang in Chicago
- (11) Gacys erste Morde
- (12) Ein entfesselter Serienkiller
- (13) Serienmörder mit Platzproblemen
- (14) Probleme bei der Identifizierung der Leichen
- (15) Hat Gacy noch weitere Opfer getötet?
- (16) Hatte Gacy Komplizen?
- (17) Das Ende von Pogo dem Killer-Clown
- Bücher zu John Wayne Gacy
- Filme zu John Wayne Gacy