(10) Psychologisches Profil

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Der »Son of Sam«-Brief forderte die Kriminalbeamten geradezu heraus, alle möglichen Dinge zwischen den Zeilen herauszulesen. So diskutierten die Ermittler zum Beispiel die Theorie, dass der Täter wohlmöglich tatsächlich einen Vater mit Herzproblemen habe. Und dieser sei in der Vergangenheit in einem Krankenhaus gelandet, in dem eine Krankenschwester mit langen, dunklen Haaren den Zorn des besorgten Sohnes auf sich gezogen habe. Es sei doch schließlich sehr merkwürdig, dass seine ersten beiden Opfer Jody Valenti und Donna Lauria ausgerechnet eine Krankenschwester beziehungsweise eine medizinisch-technische Assistentin gewesen seien.

Die Ermittler wandten sich aber auch an die Profis, um Einblick in die Psyche des Serienkillers zu bekommen. So hielten sie ein Meeting mit 45 renommierten Psychiatern ab. Drei Stunden referierten die Ärzte über die möglichen psychologischen Abgründe des Täters. Bis ein Kollege aus Deutschland das Wort ergriff und in gebrochenem Englisch radebrechte: »Aber meine Herren, meine Herren, ich bitte Sie. Jedes Mal, wenn er schießt, ejakuliert er! Das liegt doch glasklar auf der Hand.« Das Statement sorgte zwar für ausgelassene Heiterkeit in der Runde, brachte aber die Ermittler der Lösung des Falls keinen Deut näher.

Kontrolle und Macht

Dr. Martin Lubin, ein angesehener Professor für forensische Psychiatrie, bemühte sich, die Ermittler mit einem detaillierteren Täterprofil bei ihrer Arbeit zu unterstützten. Er konstatierte, dass der Mörder eine zusätzliche Befriedigung daraus zog, mit seinen Verfolgern und der Öffentlichkeit zu spielen, ja, sie möglicherweise sogar zu manipulieren, indem er sie auf falsche Fährten lockte. Das vermittelte ihm ein Gefühl der Kontrolle und Macht. Macht über die Medien, Macht über den Polizeiapparat und Macht über die gesamte Bevölkerung der 8-Millionen-Metropole New York. Indem er direkt mit ihnen kommunizierte, steigerte er nochmals die Angst der Menschen, die sich bereits wegen seiner Taten vor ihm fürchteten.

Nachdem die Beamten noch weitere Fachleute aus dem Bereich forensische Psychiatrie befragt hatten, veröffentlichte die Polizei am 26. Mai 1977 ein psychologisches Profil des Täters. Darin beschrieb man den Gesuchten als äußerst neurotisch und unterstellte ihm, unter paranoider Schizophrenie zu leiden. Zudem glaube der Mann offensichtlich ernsthaft daran, von Dämonen besessen zu sein. Mit anderen Worten: Der Typ war schwer krank. Der hatte gewaltig einen an der Klatsche.

Eine kalkulierte Provokation

Die öffentliche Verunglimpfung des Mörders als kranker Irrer bezweckte natürlich, den Täter aus der Reserve zu locken. Man wollte ihn dazu bringen, erneut den Kontakt zu den Ermittlungsbeamten zu suchen. Vielleicht machte er beim nächsten Mal ja einen Fehler. Vielleicht war er gar nicht so schlau und clever, wie er selber dachte. Vielleicht gab er in einem neuen Brief ein wenig zu viel über sich preis. Informationen, die ihn entlarvten, weil ein Verwandter, Nachbar oder Kollege ihre Bedeutung verstand.

56 Besitzer eines .44er Bulldog-Revolvers

Währenddessen war die Sonderkommission in der Zwischenzeit die Melderegister für Waffenbesitzer durchgegangen. Sie hatte in New York 56 Eigentümer eines Revolvers .44 Bulldog Charter Arms ausfindig machen können. Man hatte jeden einzelnen Besitzer aufgesucht, befragt und alle Waffen einem Schusstest unterzogen. Ergebnis: Bei keinem der Revolver handelte es sich um die Tatwaffe. Zahlreiche Undercover-Aktionen der New Yorker Polizei brachten ebenso wenig ein. Polizeibeamte tarnten sich als Liebespärchen und parkten an den einschlägig bekannten Stellplätzen in der Bronx und in Queens. Doch der »Son of Sam« biss nicht an.

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