(3) Washington und Oregon 1974

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Bis heute gibt es keinen Konsens darüber, wann und wo Ted Bundy zum ersten Mal mordete. Bundy hat sich diesbezüglich gegenüber verschiedenen Personen sehr unterschiedlich geäußert. Im Gespräch mit Bob Keppel, dem er mehrere Dutzend Morde gestand, sparte er beispielsweise explizit einige Taten aus. Das ließ viel Raum für Spekulationen. Bundy deutete aber an, 1972 eine Frau in Seattle und 1973 eine Tramperin in der Nähe von Tumwater, Washington, umgebracht zu haben.

Seiner Anwältin Polly Nelson erzählte Ted Bundy wiederum, dass er erstmals 1969 in Ocean City, New Jersey, versucht habe, jemanden zu entführen, der erste Mord sich jedoch erst irgendwann 1971 in Seattle ereignet habe. Dem Psychologen Art Norman gestand er, dass er 1969 zwei Frauen in Atlantic City getötet habe, als er seine Familie in Philadelphia besucht habe. Robert Keppel vermutete aber, dass Ted Bundy bereits im Teenageralter seinen ersten Mord begangen hatte. So deuteten einige Indizien darauf hin, dass er 1961 als 14-Jähriger die achtjährige Ann Marie Burr in seiner Heimatstadt Tacoma, Washington, getötet hatte.

Karen Sparks

Dabei handelt es sich allerdings nach wie vor um Mutmaßungen. Offiziell gilt Lynda Ann Healy als erstes Mordopfer von Ted Bundy. Es steht jedoch inzwischen mit ziemlicher Sicherheit fest, dass Bundy im selben Monat, als er Healy tötete, eine weitere Frau attackierte. Am 4. Januar 1974 drang er kurz nach Mitternacht in Seattle in eine Souterrainwohnung ein und überfiel die 18-jährige Karen Sparks, die an der University of Washington studierte.

Ted Bundy überraschte Joni Lenz (ein Pseudonym, das sich in der Bundy-Literatur häufig für Karen Sparks findet) im Schlaf und schlug sie mit einem Metallpfosten bewusstlos, den er aus ihrem Bettrahmen herausgerissen hatte. Karen Sparks lag danach zehn Tage im Koma und behielt von der brutalen Attacke bleibende Hirnschäden zurück. Zudem stellten die Ärzte zahlreiche innere Verletzungen fest, die vor allen Dingen darauf zurückzuführen waren, dass der Täter der Frau ein sogenanntes Spekulum, ein gynäkologisches Untersuchungsinstrument, in die Vagina geschoben hatte.

Ähnlichkeiten zwischen den Opfern

So wie Karen Sparks und Lynda Healy waren auch die meisten übrigen Opfer von Ted Bundy Studentinnen, die sich äußerlich auffallend ähnelten. Sie waren alle Weiße. Sie waren schlank. Sie trugen ihr Haar lang, meist war es glatt und in der Mitte gescheitelt. Die Frauen waren in der Regel Singles. Aber während Ted Bundy Lynda Healy und Karen Sparks zu Hause in ihrer Wohnung überfallen hatte, wechselte er bei den nächsten Opfern seine Vorgehensweise.

Aus den Befragungen der Zeugen ergab sich ein bestimmtes Muster. So hatten viele von ihnen einen jungen Mann bemerkt, der mit einem Gips herumgelaufen war, mal am Arm, mal am Bein. Meist schleppte er mehrere Bücher mit sich herum, die er wegen seiner scheinbaren Behinderung nur schwer handlen konnte. Dann sprach er junge Frauen an und bat sie um Hilfe. Andere Augenzeugen hatten einen Fremden beobachtet, der Studentinnen anquatschte, da er angeblich Probleme mit seinem Wagen, einem VW-Käfer, habe.

Die Polizei stand vor einem Rätsel. Denn es gab in keinem dieser Vermisstenfälle eine Leiche. Es existierten auch keinerlei konkrete Hinweise, die auf ein Verbrechen schließen ließen. Dennoch verschwand Monat um Monat eine weitere Frau aus der Gegend von Seattle. Allein diese Tatsache sprach dafür, dass hier etwas faul war und zwischen den verschiedenen Vermisstenfällen ein Zusammenhang bestand.

Donna Manson und Susan Rancourt

Das nächste Opfer von Ted Bundy nach Lynda Healy und Karen Sparks war die 19-jährige Donna Gail Manson, eine Studentin am Evergreen State College in Olympia, 100 km südwestlich von Seattle gelegen. Sie verließ am Abend des 12. März 1974 ihr Wohnheim, um ein Jazz-Konzert auf dem Campus zu besuchen. Dort kam sie aber nie an. Susan Elaine Rancourt (18) weilte am 17. April auf einer Abendveranstaltung am Central Washington State College in Ellensburg, 180 Kilometer südöstlich von Seattle gelegen. Danach war sie zum Kino verabredet. Ihre Freunde warteten vergeblich auf sie.

Zwei Studentinnen des Colleges wandten sich an die Polizei und berichteten von einem Mann, der sie am Abend des Verschwindens von Susan Rancourt auf dem Unigelände angesprochen hatte. Er hatte seinen Arm in einer Schlinge getragen und mit etlichen Büchern herumhantiert. Er hatte sie gebeten, ihm beim Tragen zu helfen und ihn zu seinem Wagen, einem braunen oder beigen VW-Käfer, zu begleiten. Sie hatten ihn abblitzen lassen.

Roberta Parks und Brenda Ball

Am 6. Mai 1974 verschwand im Nachbarstaat Oregon die Studentin Roberta Kathleen Parks spurlos, als sie ihr Wohnheim an der Oregon State University in Corvallis verließ, 420 km südlich von Seattle, um sich mit Freunden auf einen Kaffee in der Unicafeteria zu treffen. Und am 1. Juni 1974 sah man die 22-jährige Brenda Carol Ball letztmals, als sie sich von der »Flame Taverne« in Burien auf den Rückweg nach Hause machte. Die Bar befand sich in der Nähe des Flughafens Seattle-Tacoma. Von dort sollten nur wenige Jahre später mehrere Dutzend Frauen verschwinden, die der Green River Killer Gary Ridgway tötete. Zeugen hatten gesehen, dass sich Brenda Ball nach dem Verlassen der Kneipe auf dem Parkplatz mit einem braunhaarigen Mann unterhalten hatte, der einen Arm in Gips trug.

Georgann Hawkins

In den frühen Morgenstunden des 11. Juni verabschiedete sich Georgann Hawkins, Studentin der University of Washington, von ihrem Freund. Sie hatte nur einen kurzen Fußweg vom Wohnheim ihres Freundes bis zu ihrem eigenen Verbindungshaus zurückzulegen. Der Weg führte durch eine hell ausgeleuchtete Gasse. Genau hier verlor sich buchstäblich jede Spur von Georgann Hawkins. Denn am nächsten Morgen krochen Beamte der Mordkommission von Seattle auf Händen und Knien entlang dieser Gasse und fanden nichts, das irgendeinen Hinweis darauf gab, was mit der Studentin geschehen war.

Ted Bundy - Georgann Hawkins
Georgann Hawkins

Immerhin meldeten sich Zeugen bei der Polizei, die in dieser Nacht in der Gasse hinter einem nahe gelegenen Wohnheim einen Mann beobachtet hatten, der ein Gipsbein hatte und sich auf Krücken fortbewegte. Laut der Zeugen hatte der Unbekannte wegen der Gehhilfen sichtlich mit einer schweren Aktentasche zu kämpfen. Er hatte auch eine Zeugin angesprochen, ob sie ihm helfen könne, die Tasche zu seinem Auto, einem hellbraunen VW-Käfer, zu tragen.

Nur wenige Indizien

Über die sechs vermissten Frauen und den brutalen Überfall auf Karen Sparks hatten die lokalen Medien in Washington und Oregon wiederholt und sehr ausführlich berichtet. Unter der Bevölkerung der beiden Westküstenstaaten machte sich zunehmend Angst breit. Die Zahl der trampenden Frauen verringerte sich schlagartig. Der Druck auf die Ermittlungsbehörden wuchs. Die Polizei hatte bisher nur sehr wenige Hinweise auf den Täter und weigerte sich, diese den Medien preiszugeben. Die Journalisten unterstellten den Ermittlern daraufhin, dass sie fahrlässig handeln würden, weil sie nicht die Hilfe der Öffentlichkeit in Anspruch nahmen.

Aber was wussten die Beamten tatsächlich zu diesem Zeitpunkt?

  • Die Opfer hatten alle langes, dunkles Haar und trugen zum Zeitpunkt ihres Verschwindens Hosen, meist Blue Jeans.
  • Der Täter appellierte an die Hilfsbereitschaft seiner Opfer.
  • Er simulierte eine Verletzung und bediente sich dazu einiger Requisiten: Gipsverbände, Krücken oder Armschlingen.
  • Er fuhr einen braunen oder beigen VW-Käfer.
  • Er schlug immer nachts zu.
  • Meist hatten sich in unmittelbarer Tatortnähe Baustellen befunden.
  • Die Überfälle erfolgten zu einem Zeitpunkt, als an den Hochschulen Prüfungswochen stattfanden.

Dann veränderte der Täter im Juli 1974 in einigen Details sein Verhalten. Am Sonntag, dem 14. Juli, verschwanden vom überfüllten Strand am Lake Sammamish in Issaquah, 30 km östlich von Seattle, am helllichten Tag binnen weniger Stunden gleich zwei Frauen. Der Lake Sammamish State Park war ein bevorzugtes Ausflugsziel der Städter. An dem heißen Julitag war hier die Hölle los. Das bedeutete jede Menge potenzieller Zeugen. Den Täter schien das nicht zu stören. Dieser Umstand bereitete den Beamten am meisten Kopfzerbrechen.

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